Kommentar von Herbert Starmühler
Herausgeber energie:bau Magazin

Der Streit um den Bau von Windrädern in Waldgebieten markiert eine Zeitenwende im Umgang mit der Natur.

Windräder im Marchfeld (NÖ) bringen immens viel erneuerbaren Strom – verändern allerdings das Landschaftsbild nachdrücklich. Foto: KEM/BWK

Die Welt ändert sich, die Menschen erfinden immer neue Verfahren, die Gesellschaften verhandeln laufend neue Formen des Zusammenlebens.

Aber eine Tatsache bleibt immer gleich: Wir haben nur eine Natur. Wir haben nur diesen einen Planeten. Um die Rettung desselben wird derzeit viel gestritten, nach Jahrzehnten der ausgedehnten Diskussionen sind wir in die Umsetzungs-Phase gekommen.

Wir haben die Zeit der Abwägung hinter uns gelassen, jetzt muss wohl gehandelt werden – sonst verbrennen wir mitsamt dem Planeten.

Natur und Naturschützer

Nun zeigt sich, dass die Naturschützer unterschiedliche Vorstellungen von einer intakten Natur haben. Besonders am Streit um die Windräder ist das erkennbar. Der wird, im niederösterreichischen Waldviertel, in Bayern, in Norwegen, praktisch überall, mit großer Energie geführt.

Beleidigung des Auges?

Im Fall der Windkraft dreht sich alles um die „Verspargelung" der Landschaft, um die „Beleidigung des Auges“, wie es Peter Kass, ein Leser unseres Magazins, kürzlich genannt hat. Lassen wir einmal, so wie er, den Lärm der Windräder, das Vögelsterben, den Schattenwurf, den Eisfall, Brandgefahren u.a. beiseite, also jene anderen Argumente die für die Gegner der „Wald-Wind-Industrie“ auch entscheidend sind.

Wie viele Windräder sind genug?

Konzentrieren wir uns nur auf das Thema der Augen-Beleidigung! 

Schnell stellt sich die Frage, die niemand beantworten möchte: WIE VIELE der wunderschönen, schlanken, eleganten und besonders wirkungsvollen Maschinen wollen wir wo sehen? Und warum gerade so viele? Sind es 40 im Waldviertel? Nur 4 oder 400? Sind es 1.000 in Österreich, oder 10.000 oder 100.000?

Alles muss erneuerbar sein

Nein nein, das sind keine Übertreibungen: Wenn wir den Planeten schützen wollen, also mit erneuerbarer Energie auszukommen haben, dann muss ein jegliches mehr an Energie-Verbrauch immer aus mehr Windrädern bestritten werden.

Stimmt das? Also doch 10.000 Windräder statt der derzeitigen 1.000 ? Wann ist's genug für das Auge?

Man sieht, die Verspargelung zwingt uns zu existentieller Entscheidung – wie wollen wir leben, was ist uns wichtig.

Die Frage ist, WOVON wir MEHR haben wollen:

- mehr und größere Autos?
- mehr und längere Flugreisen?
- mehr Unwirtlichkeit der zugepflasterten Städte?
- mehr Bodenversiegelung?
- mehr Neubauten?
- mehr Produktion billigster Kleidung?
- mehr Turbo-Tourismus?
- mehr Windräder?

ODER vielleicht

- mehr Vernunft im Mobilitätsverhalten?
- mehr selbstfahrende Robotaxis, mehr Radwege?
- mehr Kosten-Gerechtigkeit bei Kerosin?
- mehr Ruhe in den Städten?
- mehr Lebensdauer von Kleidungsstücken?
- mehr Reparaturmöglichkeit von Produkten?
- mehr Lebensqualität durch unberührte Natur?
- mehr sanften Tourismus
- mehr Photovoltaik und Speicher für Gebäude?

Klar, das sind plakative Zuspitzungen. Wirklich? Sind wir nicht längst an den Punkt angekommen, an dem wir sehr wohl die Windkraft gegen die Photovoltaik antreten lassen müssen?

Sichtbar für alle

Ja, sind wir. Die Windkraft wird derzeit zu Recht gelobt: Windräder sind effektiv und bringen viel Strom und Geld. Doch sie stehen für mindestens 30 Jahre in der Landschaft und sind FÜR ALLE die sehen können, nicht mehr zu übersehen. Ob sie nun nächtens blinken, oder sich tagsüber lustig im Winde drehen.

Wir hatten das schon einmal:

- Früher wurde die Errichtung der ersten großen Hochspannungsleitungen mit Bürgermeister, Landeshauptmann und Bischof gefeiert. Heute wünscht man sich die alle unter die Erde.

- Früher hat man mit den riesigen Getreidesilos zur Nahrungssicherheit beigetragen und häßliche, aber willkommene, Landmarken geschaffen. Die weithin unübersehbaren Betonkästen werden heute kaum mehr errichtet.

- Früher hat man spektakuläre Kohlekraftwerke in die Landschaft gestellt – sie sind vielerorts längst wieder verschwunden

Kraftwerk Voitsberg Web c Porr

Das Kohlekraftwerk Voitsberg (Steiermark/A) ist schon vor zehn Jahren im wahrsten Sinne des Wortes aus der Zeit gefallen. Foto: PORR

So wird es auch mit den Windrädern sein. Zumindest wird die Euphorie verfliegen, wenn zu viele davon „die Augen beleidigen“. Viele Windparks, offshore und onshore werden weiterhin beständig grünen Strom liefern. Aber viele werden wieder abgebaut – oder gar nicht erst errichtet.

Denn längst gibt es mit Photovoltaik + Speicher Alternativen, die uns über den Winter bringen. Viel zu wenig wurde und wird in der Diskussion zum Klimaschutz damit gerechnet. Enorme Einsparungen an der notwendigen Stromnetz-Nutzung sind möglich – ohne Einschränkungen der Lebensqualität. 

Längst haben Gewerbebetriebe und Private, Kommunen und Baumeister reagiert: Landauf-landab entstehen Bauwerke oder werden alte Häuser saniert, die viel WENIGER Strom aus dem Netz beziehen als vorher. Obwohl plötzlich auch Heizungen und Mobilität elektrisch funktionieren.

Über das Argument, man komme mit der Photovoltaik „nicht über den Winter“, können diejenigen nur müde lächeln, die bereits PV und Akku verwenden. Man kommt immer besser „über den Winter“. Aber vielleicht nicht, wenn das Mehr, das Übermaß und schließlich die Hybris das Gebot der Zukunft sein sollen.

Einfach nur Windräder oder riesige Freiflächen-PV in die Landschaft zu pflanzen ohne den eigenen CO2-Verbrauch zu verändern, das kann nicht das Kardinalrezept des Klimaschutzes sein. Erst wenn Millionen von Hausdächern, Parkplätzen und Hallen mit PV und Speichern ausgestattet sind, sollten wir die letzten Reserven der Landschaftsnutzung mobilisieren.

 

Herbert Starmühler

Dr. Herbert Starmühler

Herausgeber energie:bau Magazin

ist Herausgeber dieser Publikation energie-bau.at und verschiedener Fachmagazine im Bereich Technik, Architektur und Energieeffizienz. Als seit Jahren leidenschaftlicher E-Auto-Fahrer und Bezieher eigenen Sonnenstroms ist der Journalist jederzeit für innovative Ideen zu begeistern und holt sich beim Networken gerne Inspiration für neue Projekte.