Kommentar von Hans-Josef Fell

Über die Widersprüchlichkeiten in den Argumentationen von EU-Bauernverband und EU-Landwirtschaftspolitik.

Die Landwirtschaft ist Täter und Opfer zugleich, die Klima-Erhitzung erfordert ein Umdenken auf mehreren Ebenen. Foto: Herbert Starmühler

In der EU gibt es wütende Bauernproteste, nicht nur in Deutschland oder Polen, auch in Frankreich und anderen Ländern. Nun hat der französische Agrarminister Marc Fesneau im Einklang mit neuer EU-Politik angekündigt, auf viele Forderungen des EU-Bauernverbandes einzugehen.

Klimaschutzmaßnahmen der Landwirtschaft werden zurückgeschraubt

So strebt Fesnau Steuererleichterungen an, insbesondere für Dieselkraftstoff, sowie finanzielle Hilfen im Falle von klimatischen Ereignissen. Dabei versprach Fesneau, die Strafen für Umweltvergehen zu überprüfen, da sie als "unverhältnismäßig" empfunden werden. Die Richtung ist klar: Notwendige Klimaschutzmaßnahmen der Landwirtschaft werden zurückgeschraubt.

Fehlender Klimaschutz wird aber in letzter Konsequenz auch die EU immer tiefer in Ernährungsunsicherheit und höhere Lebensmittelpreise mitsamt einer steigenden Inflation stürzen.

Eigenen Beiträge zum Klimaschutz verweigert

Es grenzt an Schizophrenie, einerseits Hilfen für klimabedingte Ernteschäden zu fordern, aber gleichzeitig die eigenen notwendigen Beiträge zum Klimaschutz zu verweigern.

Obwohl sowohl der EU-Bauernverband als auch die deutschen und französischen Interessengruppen beides fordern, schadet diese Politik am Ende den Bauern und der gesamten Gesellschaft. Die intensiven Landwirtschaftsmethoden tragen zusätzlich zur Erderhitzung bei und führen zu mehr Missernten, was die Lebensmittelversorgung insgesamt gefährdet. Eine solche Politik ist unverantwortlich: Es wird beklagt, dass die Erde sich erwärmt, und gleichzeitig werden von der Öffentlichkeit Ausgleichszahlungen für zunehmende Klimaschäden gefordert, während gleichzeitig die notwendige klare Umkehr zu einer klimaschonenden Landwirtschaft aktiv bekämpft wird.

Erdüberhitzung treibt uns alle unaufhaltsam in Ernährungskrisen

Gerade hat die Europäische Umweltagentur einen letzten Weckruf gestartet, in dem erhebliche Maßnahmen zum Klimaschutz und zur Anpassung, auch in der Landwirtschaft, gefordert werden, um in den nächsten Jahrzehnten Ernteausfälle durch Dürren oder Starkregen und damit einhergehend drastisch steigende Lebensmittelpreise oder sogar Hungersnöte in der EU zu vermeiden.

Landwirtschaft ist für 10 % der gesamten Treibhausgasemissionen in der EU verantwortlich

So emittiert die Landwirtschaft rund 10 % der gesamten Treibhausgasemissionen in der EU, was den höchsten Anteil nach den Industriezweigen Energie, Verkehr, Wohnraum und Handel darstellt.

Dabei könnte und müsste sich die Landwirtschaft in Gänze wandeln, von einem treibhausgasemittierenden Wirtschaftszweig zu einer kohlenstoffsenkenden, regenerativen Landwirtschaft. Mit Humusaufbau, höherer Biodiversität, artgerechter Tierhaltung und fossil freien Antrieben im Landmaschinenpark könnte sie erheblich zum Klimaschutz beitragen. Doch genau davon ist die meist intensiv geführte Landwirtschaft weit entfernt. Nur die Biolandwirtschaft kommt diesen klimaschützenden Anbaumethoden nahe.

Die klimabedingten landwirtschaftlichen Schäden nehmen bereits jetzt rapide zu

Eine neue Untersuchung aus Frankreich hat ein erschreckend schnelles Anwachsen der Klimaschäden in der Landwirtschaft aufgezeigt.

Klimawandel, Tierseuchen und politische Krisen haben die Kosten für die Unterstützung der französischen Landwirte durch den Staat in den letzten Jahren extrem schnell steigen lassen.

Demnach hat der französische Staat im Jahr 2022 mehr als 2,1 Mrd. € ausgegeben, um die Landwirte vor dem Hintergrund von Witterungsextremen, den Auswirkungen von Tierseuchen sowie Verwerfungen infolge politischer und gesundheitlicher Krisen zu unterstützen.

Im Jahr 2021 beliefen sich die entsprechenden Ausgaben laut Analyse noch auf etwa 900 Mio. €. Von 2013 bis 2020 wurde die jährliche Schwelle von 500 Mio. € nicht ein einziges Mal erreicht.

Wetterextreme und Tierseuchen nehmen zu

Wetterextreme und Tierseuchen nehmen mit jeder Erhöhung der Erdtemperatur zu, ebenso wie politische Krisen und Proteste, wenn es infolge von extremwetterbedingten Missernten zu steigenden Lebensmittelpreisen kommt. Diese Kosten sind in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen und werden die Solidargemeinschaft (Versicherungen oder staatliche Hilfen) in den kommenden Jahren zunehmend überfordern.

Höhere Temperaturen lassen die Nahrungsmittelpreise steigen

Genau dieser Zusammenhang wurde nun in einer neuen Nature-Studie wissenschaftlich belegt: Höhere Temperaturen lassen die Nahrungsmittelpreise und damit die Gesamtinflation sowohl in Ländern mit höherem als auch in Ländern mit niedrigerem Einkommen kontinuierlich steigen.

Wenn es nicht endlich einen starken Klimaschutz gibt, wird eine gefährliche Spirale immer weiter angeheizt:

„Wütende Bauern werden protestieren, wenn ihnen Staat und Versicherungen die zunehmenden Ernteschäden nicht mehr zahlen können.

Wütende Verbraucher werden protestieren, wenn sie die immer höheren Lebensmittelpreise nicht zahlen können oder wollen.

Ein großer Teil der Protestierer ist jedoch selbst mitschuldig, weil sie jahrzehntelang eine klimafreundliche Landwirtschaft abgelehnt haben oder als Verbraucher lieber billige, gesundheitsschädliche Lebensmittel konsumierten, anstatt auf Bio-Qualität, Tierwohl sowie Natur- und Klimaschutz zu achten.“

Es ist fatal, dass viele von allen diesen heute nicht erkennen, wohin sie die gesamte Gesellschaft mit ihren wütenden Protesten und falschen politischen Entscheidungen treiben: immer tiefer in die Klimakatastrophe.

Landwirtschaft ist Opfer und Täter der Erdaufheizung zugleich

Die Präsidentin des EU-Bauernverbandes Copa sieht zwar die landwirtschaftlichen Einkommen durch Klimaextreme bedroht, da Überschwemmungen und extreme Trockenheit immer häufiger auftreten und ein zunehmendes Risiko für die Einkommen der Landwirte darstellen. Gleichzeitig kritisierte die Französin jedoch die übermäßigen Umweltauflagen im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP), insbesondere die zu strenge Konditionalität und die hohen Anforderungen vieler Eco-Schemes.

Welch unverantwortliche und widersprüchliche Sichtweise des EU-Bauernverbandes: Die Effekte des Klimawandels als Bedrohung zu erkennen und gleichzeitig erforderliche Klimaschutzmaßnahmen als unzumutbare Belastung abzulehnen, kann nur ins Verderben führen. Denn wie sollen sonst, außer mit Klimaschutzmaßnahmen – die meisten davon sind ja gleichzeitig Umweltschutzmaßnahmen – die Zunahme der zu recht beklagten Klimaschäden eingedämmt werden?

Wer wie die offizielle Politik des Bauernverbandes in Deutschland, Frankreich oder der EU einen Beitrag der Landwirtschaft zum Klimaschutz ablehnt, wie die Umwandlung zur regenerativen Landwirtschaft oder die Abschaffung der Subventionen für fossilen Agrardiesel, wird weitere Erhitzung der Erdtemperatur ernten und damit auf den Feldern immer weniger Agrarfrüchte ernten. Biobauern haben dies seit vielen Jahren erkannt und klimaschützende Anbaumethoden entwickelt. Die von der Bauernverband vertretene intensive Landwirtschaft weigert sich jedoch konsequent, eine klimaschützende, regenerative Landwirtschaft, die kohlenstoffsenkend ist, flächendeckend aufzubauen.

Klimaschädliches Erdöl dominiert auch die Landwirtschaft und Lebensmittelindustrie

Die hohe Abhängigkeit der Lebensmittelerzeugung vom fossilen klimaschädlichen Erdöl wird schnell sichtbar, wenn man sich vor Augen führt, wo in der Landwirtschaft überall Erdöl oder auch Erdgas verwendet wird:

– Als Kraftstoff für Landmaschinen wie Traktoren und Mähdrescher.
– Zur Deckung des Strombedarfs in der Viehhaltung, bei Pflanzenölpressen und anderen Anwendungen.
– Als Heizmittel in landwirtschaftlichen Betrieben.
– In den Transportfahrzeugen für die Verteilung von Lebensmitteln vom Erzeuger zum Verbraucher, sei es per LKW, Schiff, Flugzeug oder andere Transportmittel.
– In der Weiterverarbeitung von Agrarprodukten, beispielsweise in energieintensiven Bäckereien und Metzgereien.
– Für die Herstellung von Mineraldünger und Pestiziden.
– In Lebensmittelverpackungen wie Plastikverpackungen oder landwirtschaftlichen Folien, beispielsweise beim Spargelanbau.
– Für die Lagerung von Lebensmitteln, sei es zur Kühlung, Erhitzung oder Trocknung.

Dadurch trägt die Lebensmittelwirtschaft weit mehr als 10% der Treibhausgasemissionen bei, da viele dieser Emissionen nicht auf den Feldern entstehen, sondern beispielsweise beim Transport der Lebensmittel.

Die Erdölkriege treiben auch die Lebensmittelpreise nach oben

Besonders besorgniserregend ist die hohe Abhängigkeit der Lebensmittelerzeugung, Weiterverarbeitung und des Transports von Erdöl. Steigt der Rohölpreis, so steigen automatisch auch die Lebensmittelpreise. Aktuell befinden sich die Rohölpreise mit über 90 US-Dollar pro Barrel wieder auf einem steilen Aufwärtstrend. Es wird befürchtet, dass dies erst der Anfang einer starken Rohölpreissteigerung ist.

Die zunehmenden Spannungen und Konflikte in vielen Erdölfördergebieten wie dem Nahen Osten, Russland, der Ukraine, Sudan, Libyen, Nigeria und anderen lassen weiterhin schnell steigende Rohölpreise befürchten. Damit wird die Politik des Festhaltens an den Subventionen für fossilen Agrardiesel immer absurder. Gegen den Abbau von Subventionen kann man zwar noch gegen die eigene Regierung protestieren.

Erdöl erneut als Waffe

Wenn jedoch der Iran, ähnlich wie bereits 1973 die gesamte arabische Welt, Erdöl erneut als Waffe einsetzt, dann können selbst wütende Bauern mit ihren Traktoren nichts mehr ausrichten. Die Revolutionsgarden in Teheran werden davon jedenfalls nicht beeindruckt sein. Es bleibt nur der Weg, schnell Klimaschutzmaßnahmen umzusetzen und die Lebensmittelwirtschaft von der hohen Abhängigkeit vom Erdöl zu befreien. Doch das steht nicht im Fokus der Bauernverbandsfunktionäre und Politiker, die ihren eigenen Denkweisen folgen.

Die Lösungen liegen längst auf dem Tisch

Erfolgreich haben bereits zahlreiche Landwirte umfangreiche Lösungen seit vielen Jahren verwirklicht. Dazu gehören sowohl Biolandwirte als auch konventionelle Landwirte, die eine regenerative, kohlenstoffsenke Landwirtschaft praktizieren. Es gibt Landwirte, die ihre Traktoren mit reinem Pflanzenöl vom eigenen Acker oder mit Solarstrom betreiben. Ebenso sind Landwirte zu nennen, die starken Humusaufbau oder Torfaufbau auf ihren Flächen betreiben.

Weiterhin gibt es Landwirte, die komplett auf klimaschädliche Mineraldünger und Pestizide verzichten und ihre Tiere artgerecht auf der Weide halten, anstatt sie in tierquälerischen Massentierställen zu halten. Einige Landwirte stellen auch ihre eigenen Feldfrüchte für die Energieversorgung in ihren Dörfern mit Biogasanlagen bereit. Zudem gibt es Landwirte, die Reststoffe zu Biokohle verarbeiten und damit hochfruchtbare Böden schaffen, die keinen Mineraldünger benötigen.

Diese Landwirte haben sich in anderen Verbänden wie den Verbänden der Biolandwirtschaft oder der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft organisiert. Die meisten von ihnen sind nicht protestierend mit Traktoren auf die Straße gegangen und fordern keine Beibehaltung der Steuerbefreiung für Agrardiesel oder Abschaffung der Umweltauflagen, denn sie halten diese längst ein. Doch sie sind in der Minderheit, und der große Bauernverband vertritt nicht ihre Interessen.

Aktuell wirtschaften gerade einmal 10% der landwirtschaftlichen Betriebe nach den Biolandwirtschaft-Richtlinien, und nur 12% der Tierhalter halten ihre Tiere nach Biokriterien.

Dabei sind es gerade diese Landwirte, die für den Klimaschutz in der Landwirtschaft und damit auch für langfristige Versorgungssicherheit und bezahlbare Lebensmittelpreise sorgen. Es wäre notwendig, dass endlich alle Landwirte ihrem Beispiel folgen würden, anstatt mit Traktoren auf den Straßen gegen jede notwendige Klimaschutzmaßnahme wie die Abschaffung der Agrardieselsubventionen oder Umweltauflagen zu protestieren. Viele Biobauern zeigen, dass auch sie erfolgreich wirtschaftlich arbeiten können.

Diese ökologisch arbeitenden Landwirte wären noch erfolgreicher und zahlreicher, wenn auch die Verbraucherinnen und Verbraucher in größerem Stil gesunde Biolebensmittel, Fleisch aus artgerechter Tierhaltung oder vegetarische und vegane Produkte kaufen und verzehren würden, anstatt krank machende Lebensmittel mit Pestiziden oder Antibiotika zu konsumieren.

Es gibt bereits umfangreiche Forschungsprojekte, die aufzeigen, wie die Landwirtschaft ökologisch, klimaschützend, biodivers und dennoch wirtschaftlich rentabel umgestaltet werden kann. Ein herausragendes Beispiel ist das Projekt Landwirtschaft 5.0 an der Hochschule Offenburg unter der Leitung von Prof. Dr. Daniel Kray, das neue Wege in diesem Bereich aufzeigt.

Einzelne Landwirte haben seit Jahrzehnten Klimaschutzmaßnahmen umgesetzt. Stellvertretend sei der erste österreichische energieautarke Bauernhof von Wolfgang Löser genannt. Mit Pflanzenölen im Traktor und PV auf den Dächern hat er schon vor 20 Jahren begonnen und bis heute keine fossilen Energien genutzt. Daher ist er nicht auf Agrardieselsubventionen angewiesen.

Wir haben es selbst in der Hand: Kaufen wir alle unsere Lebensmittel nach Klimaschutzkriterien – ökologisch, regional und fair

Doch der deutsche, französische und EU-Bauernverband interessieren sich nicht für solche Lösungen und die seit Jahrzehnten verwirklichten Beispiele. Der Hauptgrund dafür liegt in der engen Verbindung vieler ihrer Funktionäre mit der Industrie der Massentierhaltung, Düngemittelproduzenten, Pestizidhersteller und anderen.

Dadurch vertreten sie nicht die Interessen einer Landwirtschaft, wie wir sie zukünftig benötigen, um Ernährungssicherheit und bezahlbare Lebensmittel zu gewährleisten. Besonders bedenklich ist, dass die EU-Agrarebene sowie Landwirtschaftsminister aus Frankreich oder Polen genau diese klimazerstörenden Agrarmethoden weiterhin unterstützen. Sie treiben damit auch die EU und die gesamte Welt immer tiefer in die Klimakatastrophe mit zunehmenden Missernten, steigenden Lebensmittelpreisen und letztlich immer schlimmeren Hungerkatastrophen, wie es die EU-Umweltagentur in ihrem Weckruf klar aufgezeigt hat.

Wir haben jedoch alle selbst in der Hand: Als Landwirte können wir Klimaschutz verwirklichen, wie es viele bereits beispielhaft tun. Als Verbraucher können wir die ökologisch und fair arbeitenden Bauern, insbesondere aus der eigenen Region, unterstützen. Als Politiker sollten wir dem massiven Druck der intensiv wirtschaftenden Landwirtschaftsfunktionäre und wütenden Bauernprotesten nicht nachgeben, sondern stattdessen endlich eine Landwirtschaftspolitik fördern, die Klimaschutz und das Gemeinwohl befördert.

Hans-Josef Fell

Hans-Josef Fell

Hans-Josef Fell ist ehemaliger Bundestags-Abgeordneter der Grünen in Deutschland und Präsident der Energy-Watch-Group.