Auf einer ehemaligen Pferdekoppel ist eine energieeffiziente Vorzeigesiedlung gebaut worden. Nun kommt Leben ins „MGG22“ – und der erste Hitzesommer ist bewältigt.

Pferd, MGG22
Was macht ein Pferd im Neubau? Es beäugt mal, was aus seiner Koppel geworden ist. Screen: MGG22

Mit dem Wohnquartier MGG22 will Initiator Norbert Mayr gemeinsam mit dem gemeinnützigen Wohnbauträger „Neues Leben“ im 22. Wiener Bezirk das Funktionieren eines sozial und ökologisch nachhaltigen Wohnens unter Beweis stellen: Das offene Wohnquartier mit 160 Einheiten in Stadlau wird mit Windenergie, Bauteilaktivierung und Wärmepumpen mit Tiefensonde geheizt und gekühlt. Die bauteilaktivierten Bauten können überschüssige, sonst verlorene Windenergie speichern, womit die Windkraftanlage – ebenso über den Lebenszyklus – ihren Wirkungsgrad verbessert.

MGG22 Foto Hannes Warmuth

MGG22 Foto2 Hannes Warmuth

Betonkern-Aktivierung
Die thermische Aktivierung (TBA) von Bauteilen stellt eine Art Flächenheizung dar, bei der Heizregister (auch zur Kühlung) einbetoniert sind und Wärme ohne großen Widerstand und damit rasch in die thermisch aktivierte Decke eindringen kann. Die gute Speicherfähigkeit von Beton bewirkt zudem, dass große Wärmemengen zugeführt werden können, ohne dass dadurch seine Temperatur stark erhöht wird, welche eine nahezu einheitliche innere Oberflächentemperatur und besten thermischen Komfort bieten. Die Wärmepumpen sind mit einer Windstrom-Steuerung versehen und beladen die aktivierten Bauteile vorzugsweise dann mit Wärme bzw. Kälte, wenn viel Windstrom im Netz vorhanden ist. Dass die Sache funktioniert, konnte der Verband Österreichischer Zementindustrie kürzlich per Wärmebildkamera nachweisen (siehe Foto von Hannes Warmuth). Diese zeigte eine Wandtemperatur von 21,9 Grad an.

MGG22 Wärmebild Wand Foto Warmuth

Draußen 32 Grad, drinnen 23,5 Grad
Zweites Beispiel: Ende Juni konnte sich der Direktor der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik, Michael Staudinger, um 17:00 Uhr bei 32 Grad im Schatten im Wohnraum – obwohl westseitig durchfenstert – bei sehr moderaten 23,5 Grad erholen. Ihn überzeugte das „gute und angenehme Raumklima auch bei diesen hohen Sommertemperaturen“. Bei diesem energiesparenden System gibt es – so der ZAMG-Chef – gegenüber dem Energiefresser Klimaanlage auch "keine unangenehme Kaltluft- und Zugsituation.“

Der Klimaexperte weiter: „Das kurzfristige Angebot an Windenergie wird hier mit dem ganz anders getakteten Rhythmus von Kühl- und Heizbedarf extrem elegant verbunden.“ Die kühlende Temperierung ist nur die unmittelbar spürbare „Spitze des Eisberges“ der innovativen Energieversorgung mit Windüberschussstrom-Nutzung über Wärmepumpen und Tiefenbohrungen übers ganze Jahr. Es brauche eine Multiplikation solcher Häuser als aktive Energie-Player im Kampf gegen die Klimakrise.

Nachbarschafts-Aktivitäten
Ein wesentliches Element des Konzeptes sind Aspekte gemeinschaftlichen Wohnens. Die zukünftigen Bewohnerinnen und Bewohner haben die Möglichkeit an der Gestaltung des Wohnprojektes aktiv mitzuwirken. So wird z.B. die Ausgestaltung des Mehrzweckraums mit Gemeinschaftsküche und des Waschsalons mit Nachbarschaftsbibliothek gemeinsam mit engagierten Personen erarbeitet. Ein zentraler Aspekt des Projektes ist die Bepflanzung und Organisation des Gemeinschaftsgartens.

Aus der Website des Projektes: „Die professionelle Begleitung und aktivierende Moderation von wohnbund:consult soll einen sozialen Mehrwert für die gesamte Nachbarschaft leisten. Dazu gehören u.a. Moderation von Workshops & Themenabenden zu den Allgemeinflächen, Unterstützung von Bewohnerinitiativen und Selbstorganisationsstrukturen, Organisation von Nachbarschaftsfesten.“

norbert mayrArchitekt*innen gut bezahlen
Für Norbert Mayr, Geschäftsführer der M2plus Immobilien GmbH, die das Projekt koordiniert, ist es wichtig, Baukultur und Energie-Technik zusammenzudenken: „Wichtig ist eine intensive und gründliche Planungsphase weit in die Details und Grundrisse hinein. Wenn man die ArchitektInnen gut bezahlt und über das eigene Quartier hinausdenkt, können Orte mit hoher Wohnqualität entstehen. Die BewohnerInnen können die Freiflächen gemeinschaftlich nutzen und bewirtschaften, ebenso einen großen Gemeinschaftsgarten, bereits ausgestattet mit Gerätekontainer und Pergola – auch das verringert die Mobilität. Die baukulturell und energietechnisch ambitionierte Gesamtkonzeption dient der CO2-Reduktion, die energiesparende, kühlende Wohnungstemperierung auch der Klimafolgenanpassung. Im Sinne der Klimagerechtigkeit sollte das System in Regionen mit ungleich drastischeren Überhitzungen Einsatz finden. Wir in Österreich, als hochentwickeltes Industrieland und einer der Verursacher der Klimakrise, jammern auf hohem Niveau.“

Auszeichnung und Ausstellungen
Das Projekt MGG22 wurde noch während des Baus von der IBA_Wien 2022 als „Game-Changer“ im Bereich der Wohnbau-Energieversorgung nominiert. Unter dem Titel „Ein wichtiger Baustein für die Stadt der Zukunft“ heißt es unter anderem: „Die technischen Innovationen, die das Projekt MGG22 verfolgt, können wichtige Bausteine ökologisch nachhaltigen Bauens und Wirtschaftens für die Stadt der Zukunft sein. Gleichzeitig eröffnet sich eine vollkommen neue Perspektive auf leistbare Energielösungen. […] Die entwickelten Lösungen sollen in den öffentlichen Diskurs eingebracht werden und einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Die Verknüpfung von ökologischer und ökonomischer Nachhaltigkeit weist in die Zukunft des Neuen Sozialen Wohnens!“

Die Wiener Magistratsabteilung 20 [Energieplanung] hat in ihr Fachkonzept STEP 2025 Energieraumplanung (vom Wiener Gemeinderat am 30. April 2019 beschlossen) im Kapitel „Neue Technologische Entwicklungen - Energiewende“ als einziges noch nicht realisiertes Beispiel einer „städtetauglichen Energielösung“ das Wohnquartier MGG 22 aufgenommen, die Thematik „Energieflexible Gebäude und Import erneuerbare Energie“ wird ausschließlich von MGG 22 repräsentiert.

Viele Veranstaltungen
Schon in den ersten Wochen nach Bezug der 160 Wohnungen begannen zahlreiche Veranstaltungen vor Ort, wie z.B. eine Tagung des Klima- und Energiefonds mit dem Ziel, dieses innovative System mit Förderungen zu unterstützen und dadurch leichter replizierbar zu machen. Der Besuch des Zweiten Bürgermeisters von München mit einer hochrangigen Delegation von Stadtregierung und Beamtenschaft wenige Tage nach der Eröffnung hatte den Hintergrund, diese Innovation in die zahlreichen Wohnbauvorhaben zu integrieren.

Hier können Sie an der Führung der etwas anderen Art teilnehmen: Weil es ja vorher mal eine Pferdekoppel war, zeigt man auf der Website, wie Pferdeführer Manfred Peffer die Traberstute Joy über dessen ehemalige „Wohnanlage“ geleitet.

MGG22 Pferd

 

www.mgg22.at

ÖGUT

Vereinigung der Österr. Zementindustrie

 

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