Hitzestress, Grünraummangel und nicht an den Klimawandel angepasste Stadtstrukturen haben in den letzten Sommern gezeigt, wie schlecht unsere Städte auf Hitze reagieren. Die Architekten-Diskussion.

audacity architecture talks 2025, Johanna Horn (Solve Consulting), Peter Schwehr (Hochschule Luzern), Lilli Lička (ehem. Leitung Landschaftsarchitektur Boku Wien), Andreas Frauscher (CEO Architects Collective), Michael Kerbler (Moderation), vlnr. Foto: Architects Collective

Welche Transformationsprozesse brauchen wir, damit Städte als schützende, sozial wirksame und klimatisch resiliente, folglich als gesundheitsfördernde Lebensräume funktionieren? Wie muss eine Stadt gestaltet sein, damit sie Gesundheit nicht nur ermöglicht, sondern aktiv fördert?
Mit dieser Leitfrage widmet sich Mitte November der dritte audacity architecture talk 2025 von Architects Collective einem Thema, das angesichts steigender Temperaturen, wachsender sozialer Polarisierung (leistbarer Wohnraum) und den Folgen der Pandemie (Vereinsamung) drängender ist denn je: der „gesunden Stadtoase“ als neue urbane Infrastruktur zur Förderung der Gesundheit, des Klimas und der Gemeinschaft einer solidarischen und klimagerechten Stadt. Urbane gesundheitsfördernde Orte oder Infrastrukturen also, die künftig mehr verankert werden müssen.

Moderiert von Journalist Michael Kerbler, diskutieren Johanna Horn (Solve Consulting), Peter Schwehr (Hochschule Luzern), Lilli Lička (ehem. Leitung Landschaftsarchitektur BOKU Wien) und Andreas Frauscher (CEO Architects Collective) über räumliche, gesellschaftliche und politische Voraussetzungen einer gesunden, fairen und lebenswerten Stadt.

Stadt als Organismus – Gesundheit als präventives System

Der Talk knüpft an frühere Ausgaben an, die ein neues Verständnis von Krankenhausarchitektur forderten. Spätestens seit Covid-19 sei klar, „dass wir das Spital nicht als fertiges Produkt, sondern als Prozess und Organismus begreifen müssen“, so Kerbler. Dieses Organismus-Denken müsse sich auch in den Stadtraum vom Innen ins Außen erweitern: in ein schützendes, klimaresilientes Biotop oder Netzwerk, das Gesundheit ermöglicht, bevor Krankheit überhaupt entsteht. Eines der Grundanliegen der Runde ist, dass Healing Architecture über die Planung von Gesundheitsbauten hinausgeht. Auch die Architektur- und Stadtplanung trage Verantwortung für die urbane Gesundheits- und Gemeinschaftsförderung, dies müsse in allen Planungsprozessen mitgedacht werden, sodass gesunde lebenswerte Städte wachsen können.

Für Johanna Horn, selbst 30 Jahre praktisch im Gesundheitswesen tätig, beginnt der Wandel mit einem Paradigmenwechsel: „Die gesunde Stadt braucht Prävention, Mut, Optimismus – Gesundheit statt Krankheit. Dafür müssen wir Innen und Außen zusammen denken, denn Gesundheit entsteht im gesamten Stadtraum. Dafür müssen wir endlich auch Gesundheit statt Krankheit in den Mittelpunkt stellen.“

Gesundheitsversorgung dürfe sich nicht auf Gebäude beschränken. Die Grenzen zwischen Krankenhaus, öffentlichem Raum und alltäglichen Lebenswelten müssten verschwimmen, damit Gesundheit „nicht erst im Krankenhaus“ beginnt. Horn kritisiert, wie stark Prozesse und Strukturen heute trennen, was eigentlich zusammengedacht werden muss. Denn die Prävention von Krankheit sei im urbanen Raum ein strukturelles Thema, kein individuelles.

Kleine Interventionen, große Wirkung – die Stadt als solidarischer Raum
Die Diskussion zeigt deutlich: Die gesunde Stadt entsteht nicht durch große Gesten, sondern durch ein Netzwerk aus vielen kleinen, wirksamen Maßnahmen. Architekturprofessor Peter Schwehr betont die Macht der kleinen Schritte: „Oft braucht es keine großen Gesten, minimal-invasive Eingriffe können Mikro-Klimata schaffen, die die Gesundheit fördern.“ Er plädiert für eine Stadtplanung, die Mikroklima, soziale Interaktion und demokratische Teilhabe zusammendenkt: von verschatteten Straßen über kühlende Grünräume bis hin zu Caring Communities gegen Einsamkeit.

Schwehr definiert die gesunde Stadt als soziales Projekt und gesellschaftliche Aufgabe. Die Stadt als Ort der Verwundbarkeit durch Vereinsamung, klimatischem und technischem Wandel müsse zum Ort der Resilienz werden. Er stellt die Solidarität in den Fokus seiner Argumentation: „Die gesunde Stadt ist solidarisch, fördert das Demokratieverständnis, und sie findet auch im öffentlichen Raum statt.“ Schwehr betont: „Wir leben in einer Zeit des Umbruchs. Hindernisse verschaffen uns Flügel – wenn wir den öffentlichen Raum als solidarischen Raum neu verhandeln.“

Landschaft als Gesundheitsinfrastruktur und sozialer Organismus

Für Landschaftsarchitektin und Aktivistin Lilli Lička ist der Blick aufs Ganze entscheidend, Grünräume seien integrale Gesundheitsinfrastrukturen und keine ‚Add-Ons“: „Wir handeln im Kleinen und wirken im Großen. Der Begriff der gesunden Stadtoase ist Teil der gesunden Gesamtstadt. Freiräume, Grünstrukturen und Wege sind miteinander verbunden – und genau dort entsteht Gesundheit.“

Grünräume als zentrale gesundheitsfördernde urbane Infrastruktur fördern Bewegung, Begegnung und mentale Gesundheit, sie sind ein zusammenhängendes, vernetztes System. Das Leben der Menschen müsse in den Mittelpunkt jeder Stadtplanung. „Zentral steht das Wohlbefinden der Personen in einer Stadt, und nicht ob der Verkehr rollt oder die Geschäfte funktionieren.“

Die sozial gerechte Verteilung von Grünräumen, Beschattung und Erholungsflächen sei entscheidend dafür, das soziale Gefüge zu stärken, und die Ungleichheit in der Stadt nicht zu verschärfen. Die Stadt müsse insbesondere dort investieren, wo die gesundheitliche Belastung besonders hoch ist.

Architektur als Schnittstelle – Mobilität, Boden & soziale Gerechtigkeit

Architekt Andreas Frauscher betont die Rolle der Architektur als Bindeglied, Innen- und Außenwelt zu verbinden: „Die gesunde Stadtoase ist die Schnittstelle nach außen, wo das Leben der Stadt mit den Gesundheitseinrichtungen zusammenfließt.“ Gesundheitsbauten dürfen nicht als isolierte Inseln existieren. „Gesundheit beginnt nicht im Krankenhaus, schon ein Park, in dem sich Menschen wohlfühlen und erholen können, ist aktive Gesundheitsvorsorge.“

Frauscher stellt klar: Die Baukultur muss sich stärker in die Klimapolitik einbringen. Besonders im Fokus sind dabei Mobilität, barrierefreie Zugänge und gerechte Raumverteilung. Städte müssten dringend resilient gegenüber Hitze, Stress und gesundheitlichen Belastungen werden, dafür brauche es bauliche Konzepte, aber auch regulative Rahmenbedingungen, die einer verantwortungsvollen Stadtentwicklung nicht entgegenstehen. „Lebenswerte Stadträume sind der wichtigste Beitrag zur Gesundheit. Dazu gehört, dass sich Menschen ohne Hürden bewegen können – vom Park bis zum Krankenhaus.

Barrieren der gesunden Stadt – Regulierung, Eigentum und Macht

Gesundheitliche Chancengleichheit müsse also ein klares urbanes Kernziel werden. Lička bringt es auf den Punkt: „Es gibt diese Aussage, sag mir, wo du wohnst, und ich sage dir, wie lange du lebst – so darf es nicht bleiben.“ Lička erklärt das Prinzip 3-30-300 von Cecil Konijnendijk, wonach drei Bäume vor dem Fenster eines jeden Zimmers zu sehen, mindestens 30 Prozent des öffentlichen Raums der Umgebung überschirmt, und in maximal 300 Metern Entfernung ein Park oder eine Grünfläche zur Erholung sein sollen. Eine engagierte Formel.

Urbane Klimaanpassung braucht neben Kühlung, Beschattung und Entsiegelung auch ganzheitliche Konzepte für Mobilität, Barrierefreiheit, Grünraumzugang, also eine entsprechende faire soziale Infrastruktur. Schwehr fordert das Auflösen von Systemgrenzen, Vereinsamung finde vor allem innerhalb von Gebäuden statt. Heterogene Eigentumsverhältnisse sind für ihn ein besonders großes Hindernis in der Planung. „Wenn sich der Mittelstand keine Wohnung mehr leisten kann, müssen wir nicht über gutes Stadtklima sprechen.“

Die Runde thematisiert deutlich die strukturellen Spannungsfelder urbaner Transformation: Eigentumsfragen, Investitionsdruck, fehlende Interdisziplinarität und Geschwindigkeit politischer Entscheidungen. Dennoch herrscht Aufbruchsstimmung, Schwehr betont: „Eine gesunde Stadt ist kein Luxusprojekt. Sie ist demokratisch, solidarisch und klimatauglich – eine Notwendigkeit.“

Horn berichtet, dass echte Innovation gerade im Gesundheitsbau durch eine Überregulierung mit Vorschriften blockiert werde. Gleichzeitig kennt Frauscher die Notwendigkeit regulativer Steuerungsmittel, wenn kapitalstarke Investoren den öffentlichen Raum dominieren wollen. Er plädiert für eine gute Balance zwischen Gestaltungsfreiheit und Schutz des Gemeinwohls. Auch Schwehr sieht hier einen wesentlichen Angriffspunkt: „Wem gehört der Boden? Wie will man Stadt gestalten, wenn Eigentumsverhältnisse die Entwicklung blockieren?“ Der öffentliche Raum brauche jedenfalls eine Neubewertung, zum Beispiel durch die Umwidmung von Straßenraum zu Parks, wie in Wien geplant oder in Paris schon massiv umgesetzt.
Lička verweist auf das Heranziehen bereits gut erhobener Daten zu Wohnort, Lärm, Luft, sozialer Parameter in Korrelation zur Lebenserwartung, um eine gerechte Verteilung für ein gesundes Netzwerk in der Stadt umzusetzen – mit der Priorisierung jener Gegenden, „wo die ärmsten wohnen, die am wenigsten haben“. Klimaresilienz ist auch ein Thema der sozialen Gerechtigkeit.

Herausforderung für alle Disziplinen – Partizipation ja, aber ehrlich

Die gesunde Stadtoase als gut vernetzter und zugänglicher Teil der gesunden Stadt ist eine Frage der sozialen Verantwortung und Verantwortlichkeiten: Moderator Kerbler verweist auf die Dringlichkeit angesichts des Rekordjahres 2024, dem bisher wärmsten in Europa. Das Podium ist sich einig: Klimawandel, demografische Veränderungen und neue Gesundheitssysteme erfordern jedenfalls die enge und ehrliche Zusammenarbeit unterschiedlichster Planungsdisziplinen.

Breite Zustimmung gibt es auch für partizipative Planungsprozesse, jedoch mit klaren Rahmenbedingungen. „Partizipation braucht Zeit, professionelle Moderation und ehrliche Spielräume“, so Schwehr. Lička warnt vor „Particitainment“ – einer Pseudo-Beteiligung als Show ohne Wirkung. Sie verweist auf eine „seriös gemachte“ Partizipation, die die tatsächlichen Bedürfnisse der Menschen ins Zentrum stellt und auch jene teilhaben lässt, die sich aufgrund von Sprach-, Zeit- oder kultureller Barrieren nicht selbst beteiligen können.

Ein Blick in die Zukunft

Die Podiumsdiskussion zeigt: Die gesunde Stadtoase ist weniger ein Ort, als ein umfassender Ansatz, räumlich, sozial, ökologisch und politisch – Gesundheit im urbanen Raum ist ein ernstes Gemeinschaftsprojekt und eine gemeinsame Verantwortung. Die gesunde Stadtoase ist kein fertiges Modell, sie ist ein Prozess. Wenn Stadt, Planung, Politik und Gesellschaft gemeinsam handeln, kann die urbane Zukunft eine gesündere werden.
Für ein umfassendes Umdenken zu einem neuen Verständnis von gesunden Stadtoasen müssen jedenfalls Hürden zwischen Planungsverantwortlichen, Verwaltung und rechtliche Zwänge überwunden werden. Überregulierungen vermeiden, regulative Steuerungsmittel einzusetzen, wo Eigentum als Hindernis des Gemeinwohls gilt. Eine schnellere Realisierung von Stadtoasen ist das Gebot der Stunde.

Wie viele gesunde Stadtoasen wird es 2040 geben? Die Antworten reichen von vorsichtigem Optimismus bis zu visionären Entwürfen. Andreas Frauscher formuliert ein langfristiges Ziel:
„Eine gesunde Stadt ist ein Netzwerk verbundener Oasen – daran sollten wir arbeiten.“ Peter Schwehr überspitzt das Leitmotiv des Abends: „Wir haben keine Chance – also nutzen wir sie.“

Exkurs: Die Antworten der Studierenden im Rahmen des Architects Collective Studentenpreises

Im Anschluss an den Live-Talk werden die Entwürfe und Preisträger*innen des Architects Collective Student Award for Healthcare Architecture 2025 in Kooperation mit der TU Wien präsentiert. Viele davon zeigen innovative Ansätze zu Nutzung, Mikroklima, sozialer Interaktion und Freiraum. Ein starker Beleg dafür, wie die nächste Generation Stadt und Gesundheit bereits neu zusammendenkt und diese drängenden gesellschaftlichen Herausforderungen auf dem Schirm hat.

Allerdings zeigt keiner der Entwürfe – wie schon 2024 – eine starke Vision neuer urbaner Infrastrukturen. Mehr Mut, mehr transdisziplinäres Vorgehen und ausdrückliche Grenzüberschreitungen sind für die Zukunft gefordert.

FAZIT: Die gesunde Stadtoase ist ein umfassender Ansatz und ein Gemeinschaftsprojekt
- Gesundheitsförderung ist eine räumliche, organisatorische gesellschaftliche Aufgabe
- Innen- und Außenräume müssen stärker miteinander verbunden werden
- Die Stadt braucht gesunde Netzwerke gegen den Klimawandel und gegen soziale Ungleichheit
- Grünräume sind funktionale Gesundheitsinfrastrukturen, keine Deko oder Add-Ons
- Architektur ist Vermittlerin zwischen lebenswertem Stadtleben und dem Gesundheitssystem
- Eigentum, Regulierung und politische Verantwortung sind entscheide Stellschrauben
- Partizipation ist unverzichtbar, sie muss ernsthaft seriös für alle Gruppen gemacht werden

ABOUT
audacity architecture talks ist ein transdisziplinärer Dialog an der Schnittstelle von Architektur und Gesellschaft zur Förderung des Gemeinwohls, gegründet von Architects Collective im Jahr 2021.
Was ist audacity? audacity bedeutet Kühnheit, Wagemut, auch etwas Dreistigkeit, die im transdisziplinären Dialog wachsen soll und gemeinsame gesellschaftspolitische Ziele für das Gemeinwohl voranbringen will. audacity stellt gleichzeitig den Bezug zu audio her, also ich höre, mit dem erklärten Willen dem anderen zuzuhören für gesellschaftliche Veränderung.

Architects Collective Student Award for Healthcare Architecture
Der Studentenpreis für Gesundheitsarchitektur wurde 2024 von Architects Collective in Kooperation mit dem Institut für Gebäudelehre der Technischen Universität Wien ins Leben gerufen. Junge Talente im deutschsprachigen Raum sind eingeladen, Healthcare Architecture als spannendes Feld zu entdecken und interdisziplinäre Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen zu entwickeln.

Architects Collective
Das Architekturbüro Architects Collective wurde 2006 von Andreas Frauscher, Richard Klinger und Kurt Sattler gegründet, es hat aktuell rund 65 Mitarbeiter*innen. Als Architektur- und Generalplaner hat das Büro zahlreiche Projekte ausgeführt: Von kleineren, innovativen Strukturen über große, hochkomplexe Gebäude bis hin zur Planung und Steuerung von städtebaulichen Masterplänen. Architects Collective ist im Bereich Gesundheits-, Industrie-, Büro-, Wohn- und Gewerbebauten tätig, die Partner*innen haben eine über 30-jährige Expertise in Masterplanung, Generalplanung und Projektleitung für Gesundheitsbauten in Österreich, Deutschland und darüber hinaus.

Websites inkl. Livestream zum Nachsehen, weitere Fotos
audacity architecture talks, Vol.3, 2025
https://ac.co.at/talk25

Architects Collective Student Award for Healthcare Architecture 2025
https://award25.ac.co.at/


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