Kommentar von Herbert Starmühler
Herausgeber energie:bau Magazin

KOMMENTAR – Es wird Zeit, alte Wahrheiten zum Klimaschutz über Bord zu werfen. Das gilt auch für die Stadtwerke Amstetten.

Gaspipeline in Niederösterreich – manche würden gerne Wasserstoff damit transportieren. Das dürfte im Interesse der Erdgas-Branche sein, die selbigen herstellt. Foto: Herbert Starmühler

So wie es in Österreich mindestens 8 Millionen bessere Trainer für die eigene Fußball-Nationalmannschaft gibt, so finden sich genauso viele Menschen, die wissen, wie man der Klimaerhitzung beikommt.

Beide Spielfelder sind nicht unkompliziert. Es müssen im Falle der runden Wuchtel Abseitsregelungen beachtet, Viererketten überlegt und Aufstellungen wesentlicher Kicker weise entschieden sein. 

Ähnlich auf dem Felde der CO2-Vermeidung: Wasserstoff ja oder nein, Windräder im Wald, E-Autos oder doch Verbrenner – jeder und jede hat eine Strategie parat, die zum Wohle der Menschheit führen wird.

Doch einen Unterschied gibt es: Im Fußball bleiben die Tore immer an derselben Stelle und auch im Regelwerk ändert sich wenig über die Zeit.

Anders ist das bei der Suche nach dem Ei des Kolumbus in der Welt der Treibhausgase. Hier verändern sich laufend die Spielregeln, weil es immer neue, technische, Möglichkeiten gibt, das Ziel zu erreichen.

Lassen Sie uns das anhand einiger Sätze erläutern, die uns in Form einer Presse-Aussendung der Stadtwerke Amstetten ins Postfach geflattert sind. Amstetten ist eine liebenswerte Stadt im niederösterreichischen Industrieviertel, sie möchte Vorreiterin auf dem Weg zur Klimaneutralität sein. Deren jugendlicher Stadtwerke-Chef Jürgen Hürner zeigt in seiner Werbeaussendung allerdings einen bibelfesten Retrodrall mit Argumenten aus der Mottenkiste des Klimaschutzes.

Weil er damit kein Einzelfall ist, sollten wir uns diese Argumentation näher ansehen: Hürner wirbt darin nämlich für mehr internationale Energie-wirtschaft, was nach den jüngsten Erfahrungen mit russischem Gas zumindest mutig ist.

Das alte Muster der großen Netze

Er lässt seine PR-Agentur den Titel formulieren: „Energiezukunft: Unabhängige Energieversorgung ist ein Irrglaube“. Eine Erkenntnis von großer Weisheit und respektabler Weltsicht? Vor dreißig Jahren vielleicht. Heute ist das Gegenteil richtig: Je WENIGER internationale Abhängigkeiten von diversen Schurkenstaaten bestehen, umso sicherer die Energieversorgung für die Einzelnen. Oder will Herr Hürner  wirklich zur Putinschen Schreckensherrschaft betteln gehen müssen?

Die Angst vor den Stromspeichern

Der Stadtwerke-Geschäftsführer sagt weiters: „Je besser die gemeinsame Planung und Nutzung der PV-Wind-Symbiose, desto weniger Stromspeicher werden in Zukunft benötigt.“ Auch in diesem Punkte wollen wir doch auf das Gegenteil hoffen: Die größtmögliche Zahl von Stromspeichern ist geradezu DAS ZIEL unserer Bemühungen. Jedes Haus, jeder Betrieb sollte mit Akkus ausgestattet werden. Die machen nämlich so richtig unabhängig – allerdings auch von den Stromlieferungen der Amstettener Stadtwerke. Und die „PV-Wind-Symbiose" wollen wir als eine Art Vergangenheitsbewältigung einfach stehen lassen (sie hat kein Bedeutung mehr). 

Die Unwichtigkeit des Landschaftsbildes

Der Stadtwerke-Mann Hürner aus dem Industrieviertel schreibt: „Die Energiewende kostet Geld und ist in der Landschaft sichtbar. In einem Europa, das in der Energiezukunft angekommen ist, werden Windräder, Solarpaneele und Kraftwerke sichtbar sein und zum Landschaftsbild dazugehören – dann wissen wir, dass wir angekommen sind“.

Doch dort will nicht jeder von uns „ankommen“. Die religiöse Selbstgeißelung, wonach nur in den Klimahimmel kommt, wer möglichst viele Windspargel in den Wald (aua!) oder PV-Felder auf den Acker (aaau!) pflanzt, gehört zu den Versatzstücken alter, zentralistisch gedachter, Energiepolitik. Heute wissen wir: Das Heil liegt in der dezentralen Erzeugung (= PV am Dach) und im dezentralen Verbrauch (plus laufender Speicherung). 

Klar sind Windräder und großflächige Photovoltaik ein Mittel der Wahl. Aber doch bitte als Ultima Ratio, wenn gar nichts anderes mehr geht. 

Drohung mit dem Steigen der Netzkosten

Ein Irrglaube sei laut dem Amstettener Experten außerdem, dass oft angenommen werde, dass Sonnenenergie nichts koste. „Viele denken, dass der Strom, sobald die PV-Infrastruktur ausgebaut ist, wesentlich günstiger wird. Was sie dabei vergessen: die Netzkosten und die Speicherkosten werden steigen und das wird voraussichtlich künftig den Großteil der Stromrechnung ausmachen“, erklärt er.

Das darf als gefährliche DROHUNG ausfgefasst werden: Die Stadtwerke werden in absehbarer Zeit ihre Netztarife erhöhen, wenn weiterhin so viele Menschen PV und Speicher installieren? 

Lobby für den Irrweg des Wasserstoff-Heizens

Die Stadtwerke sind offenbar auch schon Teil der Wasserstoff-Lobby geworden. Sie schreiben: „Für die Wasserstoffinfrastruktur gibt es zwar schon Pläne in Österreich, aber es ist noch keine größere Infrastruktur in Betrieb. Eine raschere Lösung beim Ausbau der Leitungen bietet hier die Umwidmung bestehender Gasinfrastruktur für den Wasserstoff. Es gibt beispielsweise auch Pläne, Wasserstoff von Afrika nach Europa zu transportieren. Deshalb braucht es eine gemeinsame Vision für die Energiezukunft“.

Wir wünschen uns das GEGENTEIL: Wir glauben nämlich, dass die 217 Organisationen recht haben, die an die 7.000 Kommunen in Deutschland den Brief geschrieben haben: „Wasserstoff nicht verheizen!“

Und wer sich wünscht, lieber den Strom in Libyen, Algerien oder Marokko oder anderen afrikanischen Staaten herzustellen als am eigenen Hausdach, reisst sich selbt die Larve des Klimaschützers vom Gesicht.

Da sind die Auslassungen der österreichischen 8 Millionen Trainer der Fußball-Nationalmannschaft ehrlicher gemeint. Ob man damit Weltmeister wird oder nicht.

 

 

 

 

 

 

Herbert Starmühler

Dr. Herbert Starmühler

Herausgeber energie:bau Magazin

ist Herausgeber dieser Publikation energie-bau.at und verschiedener Fachmagazine im Bereich Technik, Architektur und Energieeffizienz. Als seit Jahren leidenschaftlicher E-Auto-Fahrer und Bezieher eigenen Sonnenstroms ist der Journalist jederzeit für innovative Ideen zu begeistern und holt sich beim Networken gerne Inspiration für neue Projekte.

Leserbriefe, Anmerkungen, Kommentare bitte an redaktion(at)energie-bau.at

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