Die Organisationen warnen davor, Wasserstoff in der kommunalen Wärmeplanung einzuplanen.

217 Organisationen haben einen offenen Brief an alle Bürgermeister:innen Deutschlands versandt. Screen: Umweltinstitut München e.V.

In diesen Tagen flattert etwa 7.000 deutschen Bürgermeister:innen Post ins Haus: Mehr als 200 Organisationen warnen davor, Wasserstoff für kommunale Wärme zu verwenden. „Während die Gaslobby in den Kommunen dafür wirbt, die Gasnetze auf Wasserstoff umzustellen, sagen wir: Wasserstoff ist zu teuer und ineffizient, um ihn zu verheizen", so Henning Peters vom Münchner Umweltinstititut – eine der protestierenden Organisationen.

Hintergrund: Wärmeplanung der Gemeinden

So geht der Text der 217 Organisationen weiter: „Bis spätestens Mitte 2028 müssen alle Gemeinden Deutschlands eine kommunale Wärmeplanung vorlegen. Damit wird eine der zentralen Fragen der Energiewende auf kommunaler Ebene ausgehandelt: Heizen wir in den nächsten Jahren oder gar Jahrzehnten weiter mit fossilem Erdgas – in der Hoffnung, eines Tages Wasserstoff durch das alte Gasnetz zu leiten? Oder kümmern wir uns schon heute um eine erneuerbare Wärmeversorgung durch (Nah-)Wärmenetze, Solarthermie und Wärmepumpen?

„Heizen mit Wasserstoff ist wie Duschen mit Champagner!“
Prof. Dr. Claudia Kemfert, Energieökonomin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung

„Gaslobby versucht, Stadtwerke und Kommunen in ihre Lobbystrategie einzubinden“

Die Agenda der Gaslobby ist klar: Sie will Gasnetze auf Wasserstoff umstellen und so ihr Geschäftsmodell sichern. Dies betrifft die Erdgasförderung (Wasserstoff kann auch aus Erdgas hergestellt werden), den Gasimport (RWE etwa will eine Pipeline in die Arktis bauen), bis hin zur Wertsicherung der bestehenden Gasnetze.

Die letzte Ebene der Gasnetze, die das Erdgas bis in die Einzelhaushalte verteilt, gehört häufig Stadtwerken. Kein Wunder also, dass die Gaslobby versucht, Stadtwerke und Kommunen in ihre Lobbystrategie einzubinden. Für diesen Zweck hat sie verschiedene Wasserstoffnetzwerke ins Leben gerufen.

Die Wasserstoffnetzwerke der Gaslobby

Über Plattformen wie „H2 vor Ort“ und „H2 kommunal“ versucht die Gaslobby, Stadtwerke, lokale Energieversorger und kommunale Akteure für den breitflächigen Einsatz von Wasserstoff zum Heizen zu gewinnen. Unsere Analyse zeigt eine Übersicht von H2-Heizprojekten in Deutschland und welche Unternehmen Wasserstoffpartnerschaften mit der Gaslobby eingegangen sind. Klicken Sie auf die einzelnen Punkte, um mehr zu erfahren.

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Die Wasserstoffnetzwerke der Gaslobby
Über Plattformen wie „H2 vor Ort“ und „H2 kommunal“ versucht die Gaslobby, Stadtwerke, lokale Energieversorger und kommunale Akteure für den breitflächigen Einsatz von Wasserstoff zum Heizen zu gewinnen. Unsere Analyse zeigt eine Übersicht von H2-Heizprojekten in Deutschland und welche Unternehmen Wasserstoffpartnerschaften mit der Gaslobby eingegangen sind. Klicken Sie hier, um auf die interaktive Karte zu kommen.


Die Gaslobby propagiert, dass Wasserstoff schon bald günstig und verfügbar sein wird. Laut dem Lobbyverband „Zukunft Gas“ sollen sogar rund 50 Prozent der zukünftigen Wärmeversorgung auf Wasserstoff basieren. Das entspricht dem heutigen Anteil von Erdgas an der Wärmeversorgung.

Diese Position erscheint absurd, wenn man sie mit wissenschaftlichen Ergebnissen vergleicht: Jede von mehr als 50 verfügbaren Einzelstudien sagt höhere Kosten für Wasserstoffheizungen als für Alternativen vorher. Der Anteil an Wasserstoffheizungen an der gesamten Wärmeerzeugung werde den Studien zufolge voraussichtlich zwischen null bis maximal zwei Prozent liegen. Der Grund: Aus einer Kilowattstunde Strom werden Wärmepumpen auch 2045 noch vier bis sechsmal so viel Wärmeenergie erzeugen können wie über den Umweg Wasserstoff.

Doch wie kommt die Gaslobby zu solchen – der Wissenschaft widersprechenden – Ergebnissen?

Ein genauer Blick in den „Transformationspfad neue Gase“, eine Art Grundsatzpapier der Gaslobby, entlarvt die Methodik, die hinter den absurd erscheinenden Ergebnissen steht: Im Wesentlichen beruhen die Vorhersagen im Transformationspfad auf einer „Metastudie“ der industrienahen Consulting-Firma „Team Consult“. Diese analysierte insgesamt zehn Studien, davon sieben zum Thema der Verfügbarkeit von Wasserstoff und Biomethan. Der Clou: Sechs der sieben Studien wurden von der Gasindustrie selbst in Auftrag gegeben – und liefern entsprechende Ergebnisse.

Auch personelle Verflechtungen stellen ein Problem dar

Unsere Analyse ergab auch, dass zahlreiche Geschäftsführer:innen von kommunalen Unternehmen gleichzeitig hohe Posten bei Gaslobbyverbänden innehaben. Dies betraf 14 der 82 von uns untersuchten Unternehmen.
In Summe halten wir eine so hohe Dichte von Lobbyverflechtungen lokaler Energieversorger für hochproblematisch: Stadtwerke haben einen Gemeinwohlauftrag.

Sie sollten sich im Zweifel für die kostengünstigste und klimafreundlichste Versorgungsoptionen für die Verbraucher:innen entscheiden – und sich dabei nicht von der Gasindustrie beeinflussen lassen. Statt ihre Hoffnung auf Wasserstoffnetzwerke zu legen, sollten sie stattdessen die schrittweise und geordnete Stilllegung der Gasverteilnetze vorbereiten und erneuerbare Alternativen wie die Nah- und Fernwärmenetze ausbauen.

Hannover ist hier als Musterbeispiel zu nennen: Die Kommune hat als erste in Niedersachsen die Wärmeplanung abgeschlossen – ganz ohne Wasserstoffverteilnetze. Hannovers Stadtwerk Enercity ist in keiner der von uns recherchierten Lobbyplattformen aktiv, kündigte 2016 seine teure Mitgliedschaft bei „Zukunft Gas“ und stieg kräftig in die Windenergie ein, wo das Unternehmen heute zu den Top 10 auf dem deutschen Markt gehört. Daran können sich andere Städte ein Beispiel nehmen!

Wir fordern daher – gemeinsam mit mehr als zweihundert Organisationen: Liebe Bürgermeister:innen, verhindern Sie hohe Kosten und Klimaschäden und verplanen Sie keinen Wasserstoff zum Heizen. Setzen Sie sich für die Unabhängigkeit Ihrer Stadtwerke ein. Und nicht zuletzt: Bringen Sie schon heute die erneuerbaren Energien in Ihrer Gemeinde voran, auch und gerade zum Heizen. Vielen Dank!“ (Offener Brief der 217 Organisationen an 7.000 deutsche Kommunen).

Webseite des Umweltinstitus München e.V.

(hst)

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