Nachdem ich in dem Beitrag „Atomreaktoren gegen die Blackout-Gefahr?“ wegen der nicht autorisierten Zitate in dem genannten NZZ-Artikel sehr kritisch zitiert wurde, möchte ich hier einige Anmerkungen machen. Vielen Dank für diese Gelegenheit!
Es ist richtig, ich verteufele die Kernenergie nicht, weil sie dazu beiträgt, CO₂-freien Strom jederzeit zur Verfügung zu stellen, und wir brauchen einen Ersatz nicht nur für die Stromversorgung, sondern auch für einen großen Teil der übrigen Energiever-sorgung.
Und bisher gibt es keine Alternative, die das im großen Stil und global leisten kann und vor allem schnell skalierbar ist. Auch wenn jetzt große Mengen an Batteriespeichern angekündigt werden, ist klar, dass die Kapazitäten maximal für einige Stunden ausreichen werden, weil dann der Business Case rapide sinkt.
Das Hauptproblem ist, dass jetzt die Ersten schnell zu viel Geld kommen, aber sobald eine gewisse Sättigung für eine schnelle und damit lukrative Umwälzung erreicht ist, werden sich kaum noch Investoren finden. Dann bleibt wieder die Allgemeinheit auf den Kosten sitzen, denn wir brauchen auf jeden Fall Puffer und Speicher für längere Zeiten, in denen nicht genügend EE-Strom erzeugt werden kann.
Daher mein pragmatischer Ansatz, zumindest als Ausgangspunkt für eine weitere Diskussion: Jeder, der mit einer bestimmten Größe am Strommarkt teilnehmen will, muss eine definierte Anzahl von Stunden im Jahr gesichert liefern können. Das würde EE-Anlagen automatisch zur Kooperation verpflichten, sei es mit Speichern oder mit konventionellen Kraftwerken.
Dann kann man noch einen CO₂-Rahmen hinzufügen, und das Ganze regelt sich von selbst. Derzeit wird in alle möglichen Richtungen gefördert, was das Problem nur verschärft, weil jeder nur seinen Eigennutz sieht und verfolgt. Daher sollten nur noch systemdienliche Anlagen und Strukturen gefördert werden.
Weitergehende Überlegungen habe ich auch in dem Artikel „Gefangen im System: Warum die Energiewende mehr Kooperation braucht“ (https://gfkv.org/wp-content/uploads/2025/01/GfKV-Gefangen-im-System.pdf) und in einem weiteren Artikel „Das Energiezellensystem“ (https://gfkv.org/wp-content/uploads/2025/03/GfKV-Das-Energiezellensystem.pdf) niedergeschrieben.
Diese Beiträge sollen zur weiteren Diskussion und kritischen Reflexion der bisherigen Umsetzung der Energiewende anregen. Denn so wie es derzeit aussieht, wird der Blackout auf der Iberischen Halbinsel kein Einzelfall bleiben, so ein geschätzter Kollege, der weltweit immer wieder zu Sonderfällen gerufen wird, wenn andere Experten ratlos das Feld verlassen haben (https://youtu.be/DYY-yckLM4Q?si=fg7LIm1d6UMSdEb0).
Seine klare Botschaft (Minute 42:20): Es kann jederzeit und überall wieder passieren! Es ist ein systemisches Problem, das nicht einfach und schnell zu lösen ist und enorme Anstrengungen erfor-dert. Nicht die Erneuerbaren oder andere sind per se schuld, sondern wir verändern mit dem Umbau das gesamte Systemver-halten und das kann man jetzt schon sehr deutlich beobachten (ab 32:42) Und so ein System kann auch jederzeit instabil werden, weil die bisherigen Schutzkonzepte nicht mehr ausreichen und angepasst werden müssen! Eines wird damit auch unterstrichen: Die derzeit zunehmende toxische Polarisierung trägt jedenfalls nicht zur Lösung/Lösungsfindung bei!
Dazu gehört auch, nicht jedes Wort auf die Goldwaage zu legen. Sollte ich tatsächlich Fehler gemacht haben, bin ich immer offen für konstruktives, kritisches Feedback und ändere auch meine Meinung. Mir ist aber auch bewusst, dass es gerade in komple-xen Situationen nicht die eine Wahrheit gibt, sondern dass wir immer mit gewissen Widersprüchen und Mehrdeutigkeiten um-gehen müssen.
Daher auch mein Appell, das toxische Entweder-Oder-Denken durch ein konstruktives Sowohl-als-auch-Denken zu ersetzen. Denn der eigentliche „Feind“ ist nicht die Kernenergie, sondern der CO₂-Ausstoß, bei dem wir dringenden Handlungsbedarf haben, den wir aber nur mit systemischem Denken und globalen Ansätzen lösen können. Das heißt nicht im Umkehrschluss, dass wir nicht auch lokal/national daran arbeiten müssen. Aber immer in dem Sinne, wie kann man mit den vorhandenen Ressourcen die größte Wirkung erzielen. Und da haben wir leider auch viele Baustellen.
Wir werden in den nächsten Wochen und Monaten sehen, wie robust das europäische Verbundsystem noch ist. Negative Strompreise wie am Muttertag mit bis zu -450 Euro pro MWh in Belgien sind nicht nur volkswirtschaftlich bedenklich, sondern zeigen auch, dass in solchen Zeiten die Fragilität des Gesamtsystems gefährlich zunimmt. Sollten sich meine Einschätzungen bewahrheiten, wäre dies eine Katastrophe für die Energiewende.
Daher sollte es gerade für die EE-Community von hohem Interesse sein, hier aktiv Maßnahmen zu ergreifen, die das Risiko reduzieren. Und aus meiner Sicht brauchen wir dazu dringend dezentrale Funktionseinheiten mit einem sektorübergreifenden Energiemanagement ("Energiezellensystem") und einer übergeordneten Orchestrierung.
Probleme müssen dort gelöst und ausgeglichen werden, wo sie entstehen: möglichst dezentral. Zum anderen kann man in diesen Zellen - die ja nur der Natur abgeschaut sind, weil alles andere evolutionär eliminiert wurde - auch experimentieren und verschiedene Lösungswege ausprobieren, ohne gleich das Gesamtsystem zu gefährden. Und man schafft damit eine Vielfalt, die überlebensnotwendig ist. Anders wird die zunehmende Komplexität nicht beherrschbar bleiben, es sei denn, wir hebeln die Naturgesetze und Erkenntnisse der Evolution aus.
Es wäre daher dringend notwendig, genau hier anzusetzen und solche Umsetzungsprojekte einzufordern. Denn derzeit gibt es noch einige Hürden, die das erschweren und verhindern. Aber das kann man in einer gemeinsamen Anstrengung lösen und ich werde dazu in nächster Zeit auch einige Gespräche auf politischer Ebene führen.
Mein dringender Appell ist daher, nicht das Trennende, sondern das Verbindende in den Vordergrund zu stellen. Und das ist in erster Linie die Versorgungssicherheit. Denn wie wir gerade in Spanien gesehen haben, kann es sehr schnell sehr teuer werden. Derzeit werden Schadenskosten von 2 bis 5 Milliarden Euro kolportiert. Geld, das nun für andere wichtige Projekte fehlen wird.
Über den Autor:
Herbert Saurugg ist Präsident der Gesellschaft für Krisenvorsorge (GfKV), internationaler Blackout- und Krisenvorsorgeexperte, Keynote Speaker, Idealist.
Seine persönliche Webseit fnden Sie > hier.