Der moderne Mensch neigt nicht zum Übermaß an Vernunft. Eher sind Habsucht, Gier oder Völlerei bestimmende Kennzeichen der Spezies, notabene wenn ausreichend Münzen im Portemonnaie schimmern.
Will heißen: Kaum kann man sich was leisten, will man es a) haben und b) damit angeben. Der Inbegriff von b) sind Fotos aus dem Urlaub. Vom Strand. Vom Berg. Am See. In der Wüste. Im Restaurant. Vom Schiff.
Denn wer verreisen kann, hat es geschafft. Früher sang Herr Qualtinger selig das Bronner-Lied vom Motorradfahrer mit der Strophe „I hob zwoar ka ohnung wo i hinfoahr, oba dafür bin i gschwinder duat“.
Heutzutage sänge der Herr Karl darüber, dass er zwar nicht wüsste wo er sich gerade befände, aber dafür sei es hier sehr schön. Und das Schnitzel saftig wie daheim.
Was heißt schon Overtourism? Es ist doch nie genug, oder? Wenn die Reisenden nebeneinander nicht mehr Platz finden in den schmalen Gässchen – dann werden wir sie halt stapeln müssen...
Nun sind aber der Herren Karl viele, recht viele geworden. Es karlt nur so in Venedig und Barcelona, in Florenz und Tauberbischofsheim.
Für diese schöne Welt, in der so viele glückliche Menschen vor dem Café Sacher in Wien eine halbe Stunde Schlange stehen um eine Melange (samt Instagram-Bildchen) zu ergattern, in der Millionen von Mittelschichtlern die griechischen Tempel im Schweiße Ihres Facebook-Auftritts erklimmen, in der so zahlreiche Mitbürger*innen genauso urlaubsreif aus Hurghada zurückkommen wie sie hingeflogen sind – für diese schöne Welt haben Spaßverderber das Wort Overtourism erfunden.
Was heißt schon Overtourism? Es ist doch nie genug, oder? Wenn die Reisenden nebeneinander nicht mehr Platz finden in den schmalen Gässchen der norditalienischen Cinque Terre, dann werden wir sie halt stapeln müssen...
Denn der Rubel rollt. Muss rollen.
Muss er?
Die Städte und Inseln leiden längst. Der Moloch Tourismus verschlingt alles: Ruhe, Stille, Beschaulichkeit als erstes. Alles wird zum Getriebe, auch der Herr Karl merkt es, schon am quirligen, wuseligen heimatlichen Abflughafen.
Der Moloch frisst sich in die Städte und Dörfer, wird laut und geschäftig und vertreibt diejenigen, die eigentlich immer schon hier gelebt haben und weiter leben wollen. Gerne würden, aber leider nunmehr von den Preisen ins Abseits gedrängt werden.
All das ist bekannt. Seit Jahren bekannt. Doch der moderne Mensch neigt nicht zur Vernunft. Er giert nach mehr.
Bis es zu spät ist: Wenn dann alle z.B. europäischen Länder ihre Landschaften und Stadtzentren dem Moloch geopfert haben werden, werden sie merken, dass sie der Industrie verlustig gegangen sind. Und zwar der richtigen Industrie, also dessen, was man früher als Industrie bezeichnet hat. Die Tourismus-Industrie, die sich in manchen Anrainer-Ohren wie „Terrorismus-Industrie“ anhört, ist gar keine Industrie. Ist nur Masse.
Maschinenbau, Elektrotechnik, Chemie oder Biowissenschaften brachten und bringen Neuerungen, Erfindungen und Unternehmungen hervor, die ihrerseits eine Fülle von Zulieferern und Arbeitsplätzen schaffen. DAS wären die besseren Instagram-Fotos: Von Energietechnik-Arbeitsplätzen, genialen Steuerungen oder gefinkelten Heizungssystemen. Von Haustechnik und Kühltechnik, von Geistesblitzen der Mobilität oder der Altenpflege.
Dagegen stinken die touristischen Errungenschaften einer weltweiten Einheitsküche aus Burger, Pizza und Pommes ab wie ein Furz im Weltall.
Und wehe, wenn die nächste Flaute im Reisebusiness eintritt: Umschulen, Umlernen, Umdenken dauert seine Zeit. Wer zukunftsfit bleiben will, muss – jetzt – die Technik forcieren. Nicht den Tourismus.