Kommentar von Herbert Starmühler
Herausgeber energie:bau Magazin

KOMMENTAR – Krieg in Europa. Unsere - persönliche – Welt muss sich ändern.

Alles im Überfluss, in Massen und möglichst billig: Für viele wird jetzt der Einkauf eine Herausforderung. Foto: Herbert Starmühler

Die Menschen in Europa, die Leute, die in die Europäische Union hineingewachsen oder hineingeboren wurden, haben es sich fein eingerichtet. Seit vielen Jahren, eigentlich Jahrzehnten, konnte sich, wer das so wollte, verhalten wie der Affe, der nichts hört, nichts sieht und nichts sagt.

Man selbst, die Arbeitskollegen, die Nachbarinnen oder Geschäftsfreunde waren sich unausgesprochen einig: Zum guten Leben gehört eine Flugreise nach Mallorca oder gar auf die Malediven zwingend dazu. Ein großes Auto mit der SUV-Silhouette sei Teil der Grundausstattung, wenn man sich das leisten kann.

Von einem Staat noch mehr Gas zu kaufen, obwohl er einem anderen souveränen Staat gewaltsam einen Teil (wie die Krim) herausreißt – kein Problem. Wir kauften ein, was uns gefällt und sahen weg. Lieber nicht genau nachfragen. Die Konzentrationslager „für“ die Uiguren? Vielleicht übertrieben. Jedenfalls sehr weit weg. Und ehrlich: Kommen nicht alle Mobiltelefone sowieso aus China? Also was kann man dagegen tun, dass China Verbrechen gegen die Menschlichkeit in großem Stil verübt?

Überhaupt: Für die Politik sind doch die Politiker und Politikerinnen zuständig? Bin ich schuld am Unglück der Ukrainer, nur weil ich mir gerade einen Gasofen installieren ließ? Der zwanzig oder dreißig Jahre lang hält. Nichts sehen, nichts verstehen.

Oh ja, schon verstehen. Herrn Putin nämlich. Dem sind wir doch einfach viel zu bedrohlich nahe gerückt mit unserer aggressiven Ostpolitik, mit dem unverhohlenen Expansionskurs von EU und Nato? Wann hat zuletzt der Putinversteher Frank-Walter Steinmeier, der deutsche Präsident, die Nordstream 2-Gaspipeline als „fast die letzte Brücke zwischen Russland und Europa“ gelobt? Im Februar 2022. Ein paar Tage später ist Putin in die Ukraine einmarschiert.

Über die „Brücke“, die wir finanzieren.

Nein, wir können nicht sagen, wir hätten NICHTS GEWUSST. Nichts gewusst vom immer autokratischeren und antidemokratischeren Kurs des russischen Präsidenten. Nein, man kann nicht sagen, wir wüssten nichts von Unterdrückung, Misshandlung, Folter und Genozid in China.

Wir wissen es und kaufen ein.

Denn wir sind die Gierigsten der Menschheit. Wir haben alles und wollen mehr. Noch eine Wohnung, noch einen Fernseher, noch eine Reise, noch, noch, noch.

Zuerst kommt das Fressen, dann die Moral? Nein: Zuerst das Fressen, dann die Gier, dann erst die Moral. Wenn überhaupt.

Jetzt stecken wir tief drin im Schlamassel, ein Ende ist nicht abzusehen. Müssen zu den Herren nach Arabien pilgern und höflichst um Öl und Gas nachfragen. Weil wir zwanzig Jahre lang zu nobel waren, den Despoten im Osten zu kritisieren. Weil uns Photovoltaikfelder  und Windräder irgendwie zu hässlich sind. Nun werfen wir uns vor den frauenverachtenden Scheichs und Emiren in den Staub und flehen um Öl. 

Von einem Autokraten zum nächsten. Das alte Europa hat sich vor lauter Gier zu einem Kasperl der Ölscheichs gemacht. 

Und nun die Wende: Krieg in Europa. Alles wird teurer. Weizen, Speiseöl, Nickel, Benzin, Gas, Strom: Die Rechnungen flattern unablässig herin, unbarmherzig hoch. Eine Reise geht sich noch aus, ein Kühlschrank noch und schnell eine Wärmepumpe, wer es sich leisten kann. Dann heißt es sparen. Die Inflation hat Kinder bekommen. Man hat sie „Fossilflation“ und „Klimaflation“ genannt um die Teuerung zu bezeichnen, die durch den notwendigen – und jetzt hastigen – Ausstieg aus dem fossilen Zeitalter entsteht. Ein Klumpenrisiko an Teuerungen wird nun schlagend.

Es ist das Ende der Gier. Die meisten werden den Gürtel zwei Löcher enger schnallen müssen. Was noch nicht heißt, dass damit automatisch die Moral mehr Luft zum Atmen hätte.

Herbert Starmühler

 

 

Herbert Starmühler

Dr. Herbert Starmühler

Herausgeber energie:bau Magazin

ist Herausgeber dieser Publikation energie-bau.at und verschiedener Fachmagazine im Bereich Technik, Architektur und Energieeffizienz. Als seit Jahren leidenschaftlicher E-Auto-Fahrer und Bezieher eigenen Sonnenstroms ist der Journalist jederzeit für innovative Ideen zu begeistern und holt sich beim Networken gerne Inspiration für neue Projekte.