Kommentar von Herbert Starmühler
Herausgeber energie:bau Magazin

KOMMENTAR: Warum Pflegerinnen, Spargelstecherinnen und Supermarktkassiererinnen statt verlogenem Dank für ihr Wirken während der Corona-Zeit lieber mehr Geld und größere Wohnungen bekommen sollten.

Die einen blieben daheim, andere mussten das System erhalten. Foto: Starmühler_autark

Das Heucheln ist derzeit Modesport: Damen und Herren, die mit ihren SUVs beim Hofer vorfahren, bedanken sich mit allerlei Wortspenden für die Systemerhalterinnen (es sind vorzugsweise Frauen). Man findet, es sei an der Zeit, sich bei den Damen für ihr Wirken während der schwierigen Zeiten der Isolation zu bedanken. In Leserbriefen zumal oder mittels Einträgen in die angeblich sozialen Medien. Das freut uns alle und es kostet nichts.

Denn wenn es etwas kosten soll, so müsste man es anderen wegnehmen. Das wollen wir dann aber doch nicht. Und so kommt es, wie es kommen musste: Nach dem medialen Gebrause über die ach so tapferen Damen hinter der Plexiglastafel an der Billa-Kassa, vielen Dank!, gehen alle wieder zur Tagesordnung über: Die Politik, die Gewerkschaft, die Gesellschaft.

Dann kehrt wieder Normalität ein, und die sieht so aus: Diejenigen, die gerade das System erhalten und sich erhöhtem Krankheits- und damit auch Sterbe-Risiko ausgesetzt haben, aussetzen mussten, werden vom System ausgenutzt. Indem man sie miserabel bezahlt.

Spargelstecherinnen aus Rumänien bekommen zum Beispiel in Deutschland vielfach nur sechs oder sieben Euro pro Stunde gezahlt. Offiziell sollten es zwar mindestens 9,35 sein, doch manch ein bäuerliches Schlitzohr zieht ihnen drei Euro für das zugewiesene Nachquartier ab. Ungesetzlich, jedoch schwer überprüfbar.

Reinigungskräfte werden in Österreich laut Job-Portalen um Netto-Stundenlöhne von 9 -11 Euro gesucht. Und Die Billaverkäuferin? Sie wird seit 1.1.2020 mit einem Monatsgehalt von 1.606 Euro brutto (Stufe A, 1.-3. Jahr) bis 2.100 Euro brutto (Stufe C, ab dem 13. Jahr) bezahlt. Wenn sie Vollzeit arbeiten kann, was meistens nicht der Fall ist.

Da passt eine Passage aus einer APA-Unternehmensmeldung vom 20.2.2020 dazu:: „Der Spar-Handelskonzern hat Umsatz, Gewinn und Marktanteile im vergangenen Jahr gesteigert. Der Umsatz erhöhte sich um 4,7 Prozent auf 15,72 Mrd. Euro. "Der Gewinn vor Steuern (EBT, Anm.) stieg von 324 Millionen Euro im Jahr 2018 auf 352 Millionen Euro im vergangenen Jahr. Die Netto-Umsatzrendite stieg von 3,1 auf 3,2 Prozent", sagte Konzernchef Gerhard Drexel im Gespräch mit der APA.“

Die Systemerhalterinnen werden also von dieser unseren Gesellschaft reichlich kurzgehalten: Damit wir billig einkaufen, unsere Konzern-Aktionäre ordentlich verdienen und wir unsere betagten Verwandten leistbar in Pflege geben können. So ungerecht ist die Welt.

Was hat das mit dem Baugeschehen, mit unserem Wohnen zu tun? Viel. Denn wer immer weniger Kaufkraft (trotz „Systemrelevanz“) vorzuweisen hat, kann nur mehr kleine Wohnungen beziehen, in denen, ja das ist blöd, die Kinder der Teilzeit-Handelsangestellten nur unzureichend im Home-Schooling betreut werden können.

Deshalb ist der Run auf Mikroappartements nicht der Einsicht geschuldet, wonach man der Umwelt zuliebe auf Quadratmeter verzichten müsse, sondern dem fehlenden Geld, das die reichen Gesellschaften Europas ihren Systemerhalterinnen leider nicht bezahlen. Wollen.

 (hst)

Herbert Starmühler

Dr. Herbert Starmühler

Herausgeber energie:bau Magazin

ist Herausgeber dieser Publikation energie-bau.at und verschiedener Fachmagazine im Bereich Technik, Architektur und Energieeffizienz. Als seit Jahren leidenschaftlicher E-Auto-Fahrer und Bezieher eigenen Sonnenstroms ist der Journalist jederzeit für innovative Ideen zu begeistern und holt sich beim Networken gerne Inspiration für neue Projekte.