Die Erdgas-Branchen machen Stimmung für das Heizen mit  „Grünem Gas“ – das nach mehreren Studien kaum verfügbar wäre.

Gasleitungen könnten mit Grünem Gas beschickt werden. Falls es genug davon gäbe. Foto: Herbert Starmühler

In Österreich dürfen ab Jänner 2023 keine neuen Gasheizungen mehr montiert werden. Und die alten Gasthermen müssen spätestens in 18 Jahren, also Ende 2040, abmontiert sein. Die Wärmewende-Strategie der Bundesregierung hat allerdings ein Schlupfloch gelassen: Über das Jahr 2040 hinaus können Heizgeräte betrieben werden, die Gase aus erneuerbaren Stoffen verbrennen.

Die Erdgas-Verbände haben dafür einen zeitgemäßen Namen erfunden: „Grünes Gas“.

Technik-Einschub: WAS ist grünes Gas?

Das ist ein Sammelbegriff für künstlich hergestellte Gas, die ohne CO2-Freisetzung verbrennen:

- Biomethan: Aus Biogas (gewonnen aus Pflanzenresten, Holz o.ä.).
- Grüner Wasserstoff (mit Erneuerbaren Energien hergestellt).
- Synthetisches Methan: eintsteht aus grünem Wasserstoff plus Kohlendioxid und Methanisierung.

Umgebaute Gasheizungen könnten also derartige Gase zu Raumwärme verbrennen. Die Stoffe haben aber mehrere Nachteile, von denen die zwei wichtigsten sind: Sie sind sauteuer und kaum verfügbar.  

> Weitere Infos:

GRÜNES GAS II: Die Argumente der Heizungsbranche
GRÜNES GAS III: „Große Versorgungslücke bei grünem Gas“ 
GRÜNES GAS IV: „Viel zu wenig Rohstoff für grünes Gas“ 

Biomethan doppelt oder dreifach so teuer

Michael Mock, der Geschäftsführer der Österreichischen Vereinigung für das Gas- und Wasserfach (ÖVGW) rechnete im Sommer 2022 vor: „Wir haben derzeit nur kleine Anlagen für Biomethan in Österreich. Daher gibt es nur ganz vereinzelte Produktionsstätten und wir rechnen, dass Grünes Gas um den Faktor 2 oder 3 teurer als Erdgas sein wird“. Allerdings wurden alle Energieträger seither teurer, auch das Erdgas.

Jedenfalls gibt die Erdgasbranche – mit Unterstützung der Installateure und Rauchfangkehrer kräftig „grünes Gas“. Man rührt ab nun die Werbetrommel. Und zwar mit einer ganz anderen Botschaft:

„Grünes Gas erspart Österreichs Gashaushalten eine Kostenlawine von 100 Milliarden"

In einer Aussendung  heißt es: „Gasheizungen können ohne teuren Umbau und Heizsystemtausch mit Grünem Gas klimaneutral betrieben werden. So bleibt der Bevölkerung bei der Umstellung auf erneuerbare Heizsysteme eine Kostenlawine von bis zu 100 Milliarden Euro erspart. Dafür macht sich die Allianz für Grünes Gas, also Energieversorger, Hausverwaltungen, Installateursbetriebe und Unternehmen der Branche, stark. Sie pocht auf den raschen Ausbau von Grünem Gas, damit eine Million intakte Gasheizungen erhalten werden kann und die nächste Kostenlawine für Österreichs Haushalte ausbleibt.“

Lesen Sie dazu auch unser Interview mit Energie-Experten Günter Pauritsch (Energie-Agentur): „Grünes Gas ist wie ein Lottogewinn“.

Billiger Umbau, teure Nutzung also?

Sieht so aus, wenn man die Dinge gemeinsam betrachtet. Doch es scheint ohnehin nur ein Streit um des Kaisers Bart zu sein. Es gibt nämlich schlichtweg kein grünes Gas, jedenfalls nicht in den benötigten Mengen. Das geht zumindest aus den Studien der Wiener Universität für Bodenkultur, der Arbeiterkammer und der Österreichischen Energie-Agentur hervor.

Man rührt ab nun die Werbetrommel. Verständlich: Wer auf eine elektrische Wärmepumpe umsteigt, braucht in Zukunft keine:n Rauchfangkehrer:in mehr und seltener den/die Installateur:in – sondern einen Elektriker oder die Elektrikerin. Im Heizraum liegen eben mehr Kabel als Röhren. 

Nachhaltigkeit Grüner Gase aus Biomasse

Mit der Verfügbarkeit bzw. der Nachhaltigkeit der Grünen Gase nachdenkt, sollte sich zum Beispiel Folgendes zu Gemüe führen: Die beiden BOKU-Wissenschaftler, Johannes Schmidt und Sebastian Wehrle stellten im Rahmen des AK-Klimadialogs im Juni 2021 ihre Studie „Edelsprit für alles? - Bedarf und Angebot an Grünen Gasen in Österreich“ vor. Hier einige der Ergebnisse im Wortlaut:

„Der überwiegende Teil des erhobenen Potenzials zur Erzeugung von Grünen Gasen aus Biomasse basiert auf Reststoffen der Land- und Forstwirtschaft und der Lebensmittelverarbeitung sowie kommunalen Reststoffen. Die Nutzung dieser Reststoffe kann als nachhaltig angesehen werden, sofern die betreffenden Nährstoffkreisläufe geschlossen bleiben.

Klimaneutralität bis zur Mitte des Jahrhunderts damit schwer darstellbar

Die vermehrte Verwendung von Reststoffen aus der Forst- und Landwirtschaft kann zum Abbau von natürlichen Kohlenstoffspeichern (Monforti et al., 2015; Schlamadinger et al., 1995) und zum Verlust von Biodiversität, vor allem im Forst (Bowyer et al., 2020; Ranius et al., 2018), führen. Der Zeitverlauf der Intensivierung der Forstnutzung ist hier relevant: über lange Zeiträume kann eine erhöhte Intensivierung positivere Effekte haben als über kurze Zeiträume. Das bedeutet allerdings, CO2-Einsparungen in die Zukunft zu verschieben (Schlamadinger et al., 1995). Dies ist für die Erreichung von Klimaneutralität bis zur Mitte des Jahrhunderts allerdings hinderlich.

„Vermehrte energetische Verwertung ist in den meisten Fällen nicht möglich“

Die energetische Verwendung von Wirtschaftsdünger in Biogasanlagen unter Ausbringung der nach der Vergärung entstandenen residualen Nährstoffe auf die landwirtschaftlichen Flächen ist ökologisch positiv zu bewerten, falls die Qualitätssicherung bei der Ausbringung der Nährstoffe gesichert ist (Sedy et al., 2019). Allerdings sind mit der Verwendung von Wirtschaftsdüngern in Biogasanlagen große logistische Herausforderungen verbunden.

Die ausgewiesenen Potentiale für Reststoffe aus Land- und Forst- wirtschaft haben außerdem möglicherweise bereits jetzt eine Verwendung im Wirtschaftskreislauf (Stroh als Einstreu, stoffliche Verwertung von holziger Biomasse etc.). Eine vermehrte energetische Verwertung ist in den meisten Fällen daher nicht möglich - oder hätte negative Folgen auf den Kohlenstoff- haushalt insgesamt.

„Eine vermehrte Verwendung von dezidierter Biomasse ist daher abzulehnen,“

Der dezidierte Anbau von Biomasse auf agrarischen Flächen zur energetischen Verwendung hat eine enorm hohe Flächenintensität zur Folge, besonders verglichen mit der Erzeugung von Strom, aber auch Kraftstoffen, aus erneuerbaren Energien – siehe dazu auch den Abschnitt Flächenbe- darf Grüner Gase. Eine vermehrte Verwendung von dezidierter Biomasse ist daher abzulehnen, um den Wettbewerb mit der Futter- und Lebensmittelproduktion und negative Konsequenzen durch direkte und indirekte Landnutzungsänderungen zu minimieren.

Das ausgewiesene theoretische Potenzial umfasst allerdings auch Biomasse aus Kurzumtrieb (im Median 11,1 PJ) und Energiegräser (Miscanthus, im Median 7,9 PJ), die auf eigenen Flächen angebaut werden müssen. Die damit einhergehenden Landnutzungsänderungen können zu Lasten der Lebensmittelproduktion gehen (Havlík et al., 2011) und die Funktion als THG-Senke mindern.

Elektrochemisch erzeugte Grüne Gase zwar sinnvoll ...

Neben der Erzeugung auf der Grundlage von Biomasse können „Grüne Gase“ auch durch die Elektrolyse von Wasser unter Verwendung von Strom aus Erneuerbaren Quellen erzeugt werden. Wie in Abschnitt Nachhaltigkeit Grüner Gase aus Biomasse dargelegt, ist die energetische Nutzung von Biomasse problematisch. Darüber hinaus ist die Flächeneffizienz der elektrochemischen Erzeugung Grüner Gase gegenüber der Erzeugung aus Biomasse je nach Stromerzeugungstechnologie und Biogas-Substrat signifikant höher (vgl. Abschnitt Flächenbedarf Grüner Gase). Sollen Grüne Gase in größerem Umfang als im Inland erzeugt werden, ist die elektrochemische Erzeugung daher sinnvoll.

... die Erzeugung größerer Mengen aus „Überschussstrom“ ist wirtschaftlich nicht darstellbar

Die Erzeugung größerer Mengen von Wasserstoff einzig aus sogenanntem „Überschussstrom“ – also Strom, der keine andere Verwendung hat – kann aus ökonomischen Gründen nahezu ausgeschlossen werden. ...
Anlagen zur Erzeugung von Grünen Gasen erfordern große Investitionen. Diese können sich nur bei ausreichend hoher Auslastung der Anlagen amortisieren. Der ausschließliche Betrieb von Elektrolyseuren mit den auch in Zukunft zu erwartenden geringen Mengen von „Überschussstrom“ ist daher wirtschaftlich nicht darstellbar.

Direkte Stromnutzung ist kostengünstiger und landschonender im Vergleich zum Grünem Gas

Sollen signifikante Mengen von Grünen Gasen oder synthetischen Kraftstoffen im Inland erzeugt werden, so müssen zusätzliche Photovoltaik- oder Windkraft-Kapazitäten installiert werden. Die Potenziale für die inländische Produktion von Grünen Gasen sind vor allem durch Einschränkungen der Möglichkeit des Ausbaus Erneuerbarer Energien, insbesondere auch der verfügbaren Flächen, beschränkt.

Die Erzeugung von Grünen Gasen erfordert wegen der Umwandlungsverluste aber mehr Energie (und damit mehr installierte Anlagen) als eine direkte Anwendung elektrischer Energie. Sofern Grüne Gase keine zusätzlichen Funktionen erfüllen müssen, ist daher eine direkte Elektrifizierung vorzuziehen, da diese sowohl kostengünstiger als auch landschonender im Vergleich zum großflächigen Einsatz von Grünem Gas ist.“ (Aus der BOKU-Studie von Johannes Schmidt und Sebastian Wehrle, 2021).

Hier geht es zur ganzen Studie.

 

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