Über 19.000 Betonsegmente („Tübbinge“) werden jetzt in Streckenröhren der Wiener U-Bahn verbaut. Für den öffentlichen Verkehr.

U-Bahn-Bau in Wien: Die Tunnelvortriebsmaschine „DEBOHRA“ im Zusammenbau. © Tobias Holzer

Die Beton-Herstellung verbraucht Unmengen an Energie – und wird daher unter Umweltschützern kritisch gesehen. Doch beim Ausbau des Öffentlichen Nahverkehrs ist das Material wertvoll und derzeit durch nichts ersetzbar.

Die Wiener Linien erweitern das U-Bahn-Netz mit dem U2xU5-Großprojekt

Die bei der Verlängerung der Wiener U2 in Richtung Süden zum Einsatz kommende, über 120 Meter lange und 1.300 Tonnen schwere Tunnelvortriebsmaschine DEBOHRA des Herstellers Herrenknecht ist bereits am Vorarbeiten. Die sogenannten Tübbinge, die in den Streckenröhren zwischen den Stationen Matzleinsdorfer Platz, Reinprechtsdorfer Straße, Pilgramgasse, Neubaugasse und Rathaus auf den insgesamt ca. 4 km langen U2-Baulosen U2/18-21 in beiden Richtungen zum Einsatz kommen, werden bereits seit Ende 2023 bei der MABA Fertigteilindustrie GmbH in Wöllersdorf bei Wiener Neustadt vorproduziert. Für das Auffahren der Tunnelröhren musste bereits ein entsprechendes Lager bereitstehen, um die 10-12 Ringe, die nun im Schnitt pro Tag verbaut werden, mehr oder weniger just-in-time an das Zwischenlager auf der Baustelle anzuliefern.

Ressourceneffiziente und umweltschonende Tunnelbaumethode

Die Tunnelvortriebsmaschine (TVM) ermöglicht höchst nachhaltigen Tunnelbau: Statt Baggern, Meiseln und schnellhärtendem Spritzbeton arbeitet sich die Tunnelvortriebsmaschine mit einem Schneidrad in einem Ausbruchsdurchmesser von knapp 7 Metern kontinuierlich durch den Untergrund. Nach 1,4 Meter Vortrieb wird jeweils ein Betonring versetzt, der schrittweise die Tunnelröhre bildet.

Präzisionsarbeit bei der Erzeugung im Werk

Jeder Ring besteht aus sechs einzelnen Segmenten – den sogenannten Tübbingsegmente – die zuvor bei der MABA unter optimalen Bedingungen vorgefertigt wurden und von der TVM passgenau installiert werden. Sobald ein Ring fertig verlegt ist, kann sich die Tunnelvortriebsmaschine an diesem abdrücken und weitervortreiben. Die sechs Tübbingsegmente, die einen fertigen Ring bilden, haben jeweils leicht unterschiedliche Geometrien, die mit höchster Präzision auf Zehntelmillimeter genau hergestellt werden und während der gesamten Produktionsphase laufend von Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Wiener Linien bereits im Werk überprüft werden.

Mit den 35 cm starken Tunnelringen kommt nur die exakte Menge an Beton und Bewehrung zum Einsatz, die zur Erfüllung der Spezifikationen erforderlich ist – und kein Kilo mehr!

Boris Binder Maba

Der Ingenieur Boris Binder (MABA) inspiziert die Teile am Tübbing-Lager in Wöllersdorf bei Wr. Neustadt. Screen: Wiener Linien 

Premiere für MABA Fertigteilindustrie im Stammwerk

Für die über eine Arbeitsgemeinschaft aus PORR und STRABAG realisierten U2-Baulose zwischen Matzleinsdorfer Platz und Augustinplatz werden die Tübbinge erstmals in Standfertigung in den angestammten Werkshallen der MABA Fertigteilindustrie GmbH in Wöllersdorf produziert – und nicht, wie bei vergangenen MABA-Tunnelgroßprojekten wie dem Wienerwaldtunnel, Koralmtunnel oder Boßlertunnel, in einer eigens errichteten Feldfabrik am Tunnelportal.

„Die günstige Lage südlich von Wien, die kurzen Transportwege und das Vertrauen in einen Betrieb, der bereits seit einem Jahrhundert mit seiner Expertise und seinem riesigen Produktportfolio wesentlich zur Wiener Infrastruktur beiträgt, haben dazu beigetragen, dass wir letztlich von der ARGE U2 17-21 beauftragt wurden“, erzählt Prokurist Stefan Kizlink.

„Nach den vielen spektakulären Tübbing-Projekten unserer Unternehmensgruppe von der Koralm bis nach Stuttgart freuen wir uns ganz besonders, unsere Expertise nun quasi vor der Haustür zur Verfügung stellen zu können!“ sagt Michael Wardian, Geschäftsführer der Kirchdorfer Gruppe.

 

Tübbing: Die Quadratur des Kreises im Tunnelbau

Der erste Tübbing wurde am 23. November 2023 im MABA Werk in Wöllersdorf produziert. Bis zum Andrehtermin wurde das Lager kontinuierlich mit rund 36 Tübbingen pro Tag aufgefüllt. Insgesamt werden über 19.000 Einzelsegmente für den Öffi-Ausbau U2xU5 hergestellt.

Die Betonfertigteile werden mit äußerst geringen Toleranzen hergestellt, die sonst nur im Maschinenbau üblich sind,– ein Umstand, der hoch spezifisches Knowhow erfordert. Die präzise Geometrie wird nach dem Ausschalen mit laserbasierten Theodoliten vermessen und kontrolliert

Die hohen Qualitätsanforderungen werden von den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen der Wiener Linien während der Tübbingproduktion übrigens mehrmals pro Woche direkt vor Ort überprüft. Damit wird sichergestellt, dass die geschätzten Fahrgäste der Wiener Linien später einmal durch ein makelloses Tunnelbauwerk transportiert werden.

Klimaprojekt mit Vorzeigecharakter

Der Öffi-Ausbau U2xU5 ist zweifellos eines der bedeutendsten Infrastruktur- und Klimaschutzprojekte für die Stadt Wien. Das Bauprojekt selbst wird möglichst effizient, umwelt- und anrainerfreundlich geplant und umgesetzt wie U2-Projektleiter DI (FH) Helmut Schweiger von der Abteilung Infrastrukturentwicklung und -realisierung / U-Bahn Neubau Süd bei den Wiener Linien ausführt:

„Durch den Einsatz der Tunnelvortriebsmaschine ersparen wir uns allein für den Abtransport des Aushubmaterials insgesamt ca. 20.000 LKW-Fahrten mitten in der Stadt. Das reduziert die Belastung für die Wienerinnen und Wiener natürlich signifikant, denn bei einem Bauprojekt in dieser Größenordnung ist die Belastung für Anrainer/innen und Gewerbetreibende natürlich entsprechend hoch.“

Komplexe Herausforderungen beim U-Bahn-Bau: Von Baumethoden bis Infrastrukturverlegung

Der Tunnelbau in bis zu 37 Metern Tiefe unter der Stadt stellt eine Reihe von Herausforderungen dar, wie Helmut Schweiger erklärt: „Aus bautechnischer Sicht ist dieses U-Bahn-Erweiterungsprojekt enorm spannend, da hier die unterschiedlichsten Baumethoden miteinander interagieren – von der offenen Bauweise für die Errichtung der Stationsschächte über den zyklischen Vortrieb bis hin zum kontinuierlichen Tunnelvortrieb, der bei Teilen der Streckenröhren zum Einsatz kommt.“

Entsprechend der Unternehmensphilosophie vergeben die Wiener Linien generell keine Generalbaulose, sondern wollen im Vergabeprozess auch zahlreichen lokalen Klein- und Mittelbetrieben die Möglichkeit bieten, direkt an diesem bedeutenden Infrastrukturprojekt teilnehmen zu können. Auch die örtliche Bauaufsicht wird in erster Linie intern abgewickelt.

(hst)

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