„Nur die dummen Deutschen steigen aus der Atomenergie aus“ – so der falsche und polemische Spruch vieler unbelehrbarer Atomfreunde. Nun hat auch Taiwan den letzten von sechs Atomreaktoren für immer abgeschaltet.
Nach 40 Jahren Betrieb ist endgültig Schluss mit der Atomkraft in Taiwan, einem hochindustrialisierten Land mit hohem Energiebedarf.
Gründe für den taiwanesischen Atomausstieg
Die Gründe sind die gleichen, die in Deutschland zum Atomausstieg führten:
Die hohen Gefahren eines Super-GAUs, der die ganze Insel radioaktiv verseuchen würde. Nach dem Super-GAU in Fukushima 2011 im benachbarten Japan wurden die politischen Anstrengungen zum Atomausstieg noch einmal beschleunigt.
Auch die ungelöste Frage der Atommüll-Endlagerung spielte eine wichtige Rolle.
Zu abhängig vom Ausland
Zudem ist Taiwan völlig von ausländischen Uran- und Brennelementelieferungen abhängig. Jede Abhängigkeit der Inselversorgung von ausländischen Energierohstoffen stellt im Falle einer Zuspitzung des politischen Konflikts mit Peking ein erhebliches Sicherheitsrisiko dar – auch wenn die Opposition in Taiwan das im Hinblick auf die Atomkraft anders bewertet.
Widerstand der Atomlobby
Dabei schien der Atomausstieg Taiwans gefährdet, als ein Volksentscheid im Jahr 2018 das Regierungsziel eines Atomausstiegs bis 2025 zu Fall brachte. Mit einer aggressiven Kampagne machte die Atomlobby massiv Stimmung gegen die Anti-Atom-Politik der Regierung.
Doch am Ende siegten die sachlichen Argumente und der Atomausstieg konnte, wie ursprünglich von der Regierung geplant, im Jahr 2025 vollendet werden.
Taiwan setzte schon seit Jahren auf Erneuerbare Energien
Taiwan setzt bereits seit Längerem auf den Ersatz der Atomenergie durch Erneuerbare Energien. Der Ausbau von Windkraft, PV und Geothermie spielt dabei eine zentrale Rolle.
Im Jahre 2021 hatte die Energy Watch Group in Zusammenarbeit mit der Universität Lapeenranta in Finnland (LUT) unter Prof. Dr. Christian Breyer und dem Industrial Technology Research Institut Taiwan (ITRI) nach einem Gespräch von mir mit der damaligen taiwanesischen Präsidentin Tsai Ing-weng in Taipeh eine Studie erarbeitet, die aufzeigt, dass eine Vollversorgung Taiwans mit 100% Erneuerbaren Energien möglich und wirtschaftlich sinnvoll ist.
Studie unter Verschluss
Diese Studie wurde der Regierung Taiwans zur Verfügung gestellt, durfte jedoch auf Anordnung des ITRI leider nicht veröffentlicht werden. Offenbar leistete sie dennoch einen wertvollen Beitrag zum Ausbau der Erneuerbaren Energien und zum damit verbundenen Atomausstieg in Taiwan.
Seit über 20 Jahren hatte ich in Taiwan politisch für Erneuerbare Energien und Atomausstieg geworben
Die politischen Grundlagen für einen taiwanesischen Atomausstieg und den Ausbau der Erneuerbaren Energien wurden schon deutlich früher gelegt.
Radioaktiv belasteten Meeresstrände
Bereits 2003 wurde ich als Redner zur ersten Erneuerbare-Energien-Konferenz der taiwanesischen Regierung eingeladen.
Unter Präsident Chen Shui-bian (2000 bis 2008) von der Demokratischen Fortschrittspartei (DPP) wurde dann wenige Jahre später der erste Atomausstiegsbeschluss gefasst. Ich hatte als Mitglied der Freundschaftsgruppe Deutschland Taipeh mehrfach Gesprächstermine mit ihm und seinen Ministern. 2010 war ich geladen von Parlamentsmitglied Frau Cheng zu einem Hearing im Parlament, um das deutsche EEG vorzustellen.
Frau Chou von der Bewegung für Erneuerbare Energien zeigte mir ihr Haus mit einer der ersten PV- und Kleinwindanlagen Taiwans, ganz in der Nähe des Atomreaktors Chin Shan. Diesen wollte sie schon 2008 gerne abgeschaltet sehen. Sie zeigte mir dazu die radioaktiv belasteten Meeresstrände in ihrer Umgebung.
Langes Bohren harter Bretter
Delegationen von Ministern, dem großen Energieversorger Taipower und dem taiwanesischen Repräsentanten Shie besuchten mehrfach mein Haus, um zu sehen, wie man ökologisch und mit 100% Erneuerbaren Energien leben kann.
Als die Kuomintang mit Präsident Ma dann 2008 wieder an die Macht kam, wurde die Politik für Erneuerbare Energien und Atomausstieg zurückgefahren.
Doch als Präsidentin Tsai Ing-wen (DPP) 2016–2024 wieder die Wahlen für die DPP gewann, setzte sie den Kurs für Erneuerbare Energien und Atomausstieg konsequent wieder fort. Auch mit Tsai Ing-wen hatte ich mehrere Gespräche in Berlin und Taipeh und unterstützte dabei auch als Konferenzredner in Taipeh ihren Kurs für Erneuerbare Energien und das Ziel des Atomausstiegs.
Nun ist also auch Taiwan atomfrei und damit frei von der latenten Gefahr eines Super-GAUs.
Genauso wie Deutschland blickt Taiwan auf eine jahrzehntelange, wechselvolle Geschichte des Atomausstiegs zurück.
Der Weg Taiwans zu 100% Erneuerbaren Energien sollte schnell beschleunigt werden
Allerdings ist Taiwan längst nicht so weit wie Deutschland, wo im letzten Jahr bereits 65% der Stromversorgung aus Erneuerbaren stammte. Etwa 80 % der Stromversorgung in Taiwan basieren auf fossilen Energien, insbesondere importierter Kohle und Erdgas.
Heimische fossile und atomare Ressourcen hat Taiwan so gut wie keine. Gerade die spannungsgeladenen Konflikte mit Peking um die Unabhängigkeit Taiwans sollten Taiwan noch mehr motivieren, die heimischen Erneuerbaren Energien schnell auszubauen. Die aktuelle fossile Importabhängigkeit würde bei Seeblockaden der Transportwege einen Blackout in Taiwan in wenigen Tagen verursachen. Der beschleunigte Ausbau Erneuerbarer Energien ist also für Taiwan nicht nur aus Gründen des Klimaschutzes erforderlich. Heimische 100% Erneuerbare-Energien-Versorgung machen Taiwan auch resilienter in Krisenzeiten und würden die von Peking bedrohte Unabhängigkeit stärken.
Atommüllprobleme bleiben trotz Atomausstieg
Wer nun meint, mit dem Atomausstieg seien Deutschland oder Taiwan die Atomprobleme los, irrt gewaltig.
Die Frage der Atommüllentsorgung ist nach wie vor ungelöst. Es gibt bisher kein Endlager, weshalb die hochproblematischen Atommüllfässer in Zwischenlagern an den ehemaligen Atomstandorten gelagert werden müssen. Ein Endlager ist in Deutschland in den nächsten Jahrzehnten nicht in Sicht.
"Unsere Zwischenlager sind nicht auf kriegerische Ereignisse ausgelegt. Wir haben in der Ukraine erlebt, dass plötzlich Kernkraftwerke angegriffen werden. Das sollte uns eine Mahnung sein", so kürzlich Wolfram König, der ehemalige Leiter des Bundesamts für Strahlenschutz und des Bundesamts für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE).
Wie und ob die Suche nach und Verwirklichung eines Atommüllendlagers in Deutschland beschleunigt werden kann, dazu hat die Regierungskoalition aus Union und SPD nichts im Koalitionsvertrag vereinbart.