Unter dem Titel „Europas wirtschaftliche Selbstverstümmelung“ schreibt Herr Josef Urschitz in „Die Presse“ eine Seite lang, was er sich offenbar in letzter Zeit so zusammengedacht hat. Es muss sich viel Groll dabei aufgestaut haben. Er scheint böse geworden zu sein ob der von ihm erkannten Unvernunft.
Denn in Europa, notabene in Deutschland (und in „seinem wirtschaftlichen Anhängsel Österreich“) regiere „weltfremde, oft grüne Ideologie“. Gemeint sind – und geärgert haben ihn – Strategien, das Energiesystem auf Angebotsverfügbarkeit schrittweise umzustellen. Verbrauch also dann, wenn genügend erneuerbarer Strom vorhanden ist, Abregelung wenn er nicht im Übermaß verfügbar wäre.
Dies magerlt den Presse-Redakteur Urschitz, denn seiner Ansicht nach ließen sich Industriebetriebe, die auf permanente 24-Stunden-Stromversorgung angewiesen sind, nicht mit „flatterhaftem Wind- und Sonnenstrom“ betreiben.
Da haben wir ihn wieder, den „Flatterstrom“. Wir wissen nicht, was hier flattert, außer dem Nervenkostüm des Herrn Urschitz, das nun schon arg ramponiert sein dürfte, zumal ohne seine Erlaubnis zahlreiche Industriebetriebe längst Vorkehrungen treffen, um angebotsorientierter produzieren zu können (und um günstige Überschusstarife für ihre Konkurrenzfähigkeit zu nutzen).
„Die Presse“ hat bessere Ideen: Es ist der gleichbleibend verlaufende Strom der Atomkraftwerke, den man lobt. Im besagten Artikel weist man auf die Kleinen Modularen Kernreaktoren hin, den SMR-Konzepten („Small Modular Reactors“). Dies sei wohl die Zukunft, denn gerade würden sich US-Technologiekonzerne an der Entwicklung derselben beteiligen. Vor allem, weil der immense Strombedarf von Rechenzentren damit sichergestellt werden könnte.
Könnte. Denn das alles ist Zukunftsmusik. Und zwar mit einer teuren und brandgefährlichen Melodie. Das deutsche Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) hat eine große Untersuchung durchgeführt und kommt zu einem Urteil, das so zusammengefasst werden könnte: Die Kleinen sind viel teurer, noch nicht am Markt erprobt und wegen der notwendigen großen Anzahl eben auch wieder gefährlich(er). Hier gibt es die Studie.
Nun könnte natürlich „Die Presse“ oder zumindest Redakteur Urschitz, klüger sein als das deutsche Amt. Wir sind hier nicht sicher. Doch Klarheit besteht darin, dass die ökologische Selbstverstümmelung der einstmals großen Tageszeitung schnell voranschreitet. Kaum sind die ungeliebten Grünen aus der Regierung, kann ungeniert die Rückkehr zur Atomkraft ausgerufen werden.
Und alles, was grün ist, als gefährlicher Unsinn hingestellt werden. Die Zeitung schreibt im zitierten Artikel nunmehr ausschließlich von fehlgeleiteten „europäischen Klima-Fundis“ und irregeleiteten Ideen zur Energiewende. Die Grünen hätten gewissermaßen den Untergang der europäischen Wirtschaft herbeipolitisiert.
Diese martialischen Töne, dieses Zurück zur überwundenen Zwentendorfzeit, dieses Memento annodazumal, das steht einer selbsternannten „Qualitätszeitung“ aber schlecht an. Hoffen wir, dass nun, nachdem der größte Klimawandelleugner Österreichs fast 30 Prozent Wählerzustimmung ernten konnte, die Zeiten für den Klimaschutz nicht gar zu schlecht werden.
Aber was rege ich mich auf: Haben Sie in den vergangenen Monaten jemanden in U-Bahn, Straßenbahn oder in der Konditorei gesehen, der oder die „Die Presse“ gelesen hat?