Selten bekommt man ein so ungewöhnliches Bauwerk und -experiment vor die Feder wie die Erweiterung der Hannah Arendt-Schule im Stadtzentrum von Bozen: Die Objektoberkante liegt auf Bodenniveau und von dort geht es drei Etagen in die Tiefe.


Immer mehr junge Menschen erlernen Sozialberufe, weil die Nachfrage nach Absolventen stetig ansteigt. Deshalb platzte die entsprechende Landesschule im Stadtkern Bozens, nur einen Sprung weit vom Waltherplatz entfernt, aus allen Nähten. Die erste Besonderheit: Das Land Südtirol als Schulbetreiber entschied sich nicht für einen Neubau am Stadtrand, der natürlich energieaufwändig weiteren Flächenverbrauch sowie viel neuen Verkehr geschaffen hätte. Nein, mit den Eigentümern, den Mönchen des Kapuzinerordens kam man überein, in der City zu bleiben und neue Wege zu beschreiten, nämlich mit kirchlichem Segen in die  „Unterwelt“ vorzustoßen. Inspiriert von dem Satz eines Ordensvertreters bei den ersten Projektvorbesprechungen, wenn es in der Altstadt nach oben nicht gehe, dann nach unten, entwickelte Architekt Claudio Lucchin den Zubau eben in die Tiefe.



Wie einzigartig das Unterfangen ist, umschreibt Lucchin folgendermaßen: „Zurück zum Ursprung. Früher haben wir in Höhlen gewohnt, im Schoß von Mutter Erde.“
In einem unterirdischen „Haus“(?), besser vielleicht in einer Behausung ergibt sich ein völlig ungewohntes Raumerlebnis. Da fehlt der Umgebungslärm, gänzlich. Allein dadurch kommt ein Gefühl der Umhüllung, von Entspanntheit und Geborgenheit zustande, dass ‚normale‘ Häuser nie vermitteln könnten. Ablenkung durch das Außen existiert einfach nicht.
 
5-cm-Dämmung, Radon
Dass technisch daraus ganz außergewöhnliche Herausforderungen erwachsen würden, war allen Beteiligten vor Beginn des Experiments klar gewesen. Das Gebäude hat drei Nutzebenen im Ausmaß von insgesamt 1.200 m3 und beherbergt 15 Klassenräume für 300 Schüler sowie Lehrpersonal.
Nur 5 cm EPS genügten zur Isolierung und auf Wasserdichtheit zum Erdreich wurde natürlich allerhöchste Aufmerksamkeit gelegt, als der Spritzbeton aufgebracht wurde.
Bei geologischen Voruntersuchungen war man im alten Brunnen des Haupthauses auf erhöhte Radon-Werte gestoßen. Berechnungen und mittlerweile durchgeführte Nachmessungen im Zubau zeigen jedoch unkritische Konzentrationen. Nicht zuletzt wegen der hohen Lufttauschrate ist am Ende völlige Entwarnung gegeben worden. 
 
Cool gekühlt
Speziell wirkt auch die kaum schwankende Außentemperatur, die vom Erdreich kommt. Klimatisch stand die Kühlung und der Abtransport der inneren Wärme, verursacht von Menschen, Leuchtmitteln, technischen Geräten etc. im Vordergrund.
„Geheizt wird im Winter nur zwischen 6 Uhr und 8 Uhr in der Früh, bevor der Schulbetrieb beginnt. Dann steigt die Temperatur aufgrund der menschlichen Abwärme rasch an und es wird ganztägig gekühlt“, beschreibt Dr. Marina Bolzan die einzigartige Konzeption der HLK-Anlage. Die benötigten, relativ bescheidenen Wärmemengen liefert die Heizanlage des Hauptgebäudes (Erdgas). Die Komfortlüftung mit Wärmerückgewinnung (Durchsatz: 5mal das Volumen pro Stunde) benötigt zum Abtransport der Wärmeüberschüsse hauptsächlich die kühle Außenluft. Da die Schule im Sommer über 2 Monate geschlossen ist, steht das Klimaaggregat nur selten in Betrieb. 
 


Lichtkonzept
Helle Innenflächen schaffen die Voraussetzungen, damit die begrenzte Lichtmenge auch noch 12 Meter unter Erdniveau wirken kann.
Zum einen besteht das Lichtkonzept des Erweiterungsbaus der Schule aus der Tageslichtnutzung. „Die Lichtmenge von senkrecht oben entspricht etwa dem Dreifachen dessen, was von der Seite in ein Gebäude gelangen kann“, erläutert Architekt Lucchin. Entlang dieses Faktums wurde schnell klar, mit einem ziemlich mittig im Gebäude eingesetzten Lichtschacht möglichst viel Tageslicht in den Untergrund zu holen. Und es funktioniert, auch bei trübem Wetter. Wesentliche weitere Funktion von Tageslicht in dieser außergewöhnlichen Architektur ist diejenige, Klaustrophobie zu vermeiden bzw. zu minimieren, weshalb auch ein guter Teil der Innenwände aus Glas besteht, um einen Blick in die ‚Weite‘ zuzulassen.
 
Zum anderen übernimmt die künstliche Beleuchtung sozusagen die Unterstützungsfunktion, sobald das Tageslicht schwächelt, und zwar speziell auf die Tageszeiten abgestimmt. Was bedeutet, dass Intensität und Farbe mit dem Tagesverlauf ‚mitwandern‘, vormittags heller und klarer als nachmittags, wenn weichere Farben die Lichtkomposition bestimmen. Technisch hat man Dauerbeleuchtungen aus Energiespargründen ausschließlich mit LED-Technik realisiert, temporäre Nutzungen auch mit konventioneller Technologie (Gasentladung, Halogen). 
 
Der Wert des Messwerts
Betrachtet man den Heiz- und Kühlwärmebedarf in den „Daten & Fakten“, könnten diese enttäuschend anmuten. Hintergrund sind die Berechnungsmethoden, die den Gebäudeausweis zugrunde liegen. Sie sind ganz und gar nicht auf unterirdische Objekte abgestimmt. Auch die von der KlimaHaus-Agentur eingesetzte, dynamische Software erbrachte nach Ansicht von Frau Dr. Bolzan unzureichende Genauigkeit und viel zu hohe Werte.
KlimaHaus-Experte Dr. Ulrich Klammsteiner verweist darauf, dass sogar extra eine Gesetzesänderung erfolgte, um den unterirdischen Erweiterungsbau unter die Sanierungsbestimmungen subsumieren zu können und konzediert zugleich, etwa die Lichtenergieberechnungen relativ pauschal vorgenommen zu haben, weil das bestehende Zertifizierungssystem noch nicht vollends auf diese Gebäudeart abgestimmt ist. Strom wird nach der KlimaHaus-Berechnung übrigens mit dem Faktor 3 auf den Primärenergiebedarf umgerechnet.
 
Fazit
Gesamtenergetisch werden erst Verbrauchsmessungen klären, wie vorbildlich ein Schulbau in der Erde dasteht. Die bisherigen Indizien lassen wahrscheinlich eine bessere als die im Gebäudeausweis zertifizierte „Klasse B“ erwarten.
Und bei all den Überlegungen muss immer eines mitbedacht werden: Die Hannah-Arendt-Schule ist ein Leuchtturmprojekt für schonenden Flächenverbrauch und zur Verkehrsminimierung, das bereits internationale Aufmerksamkeit auf sich zieht; dazu Architekt Lucchin: „Wir hatten Besuche von der TU Wien und sogar von einem Fachmedium aus den USA.“