Mit ihren markanten Schrägen sorgt die neue Firmenzentrale des Werkzeugausstatters Hahn + Kolb im süddeutschen Ludwigsburg für Aufsehen. Der Architektin Sigrid Hintersteininger gelang durch die spezifische Formensprache ein dreifacher Coup. Von Laura Hannappel
Regenerative Energien, eine nachhaltigen Energieversorgung und der Einsatz hochtechnisierter Materialien minimieren die Betriebskosten des Gebäudes. Bild: David Franck
1898 gründeten Hermann Hahn und Adolf Kolb in Stuttgart ein Spezialgeschäft für Werkzeuge und Maschinen Heute kann die Hahn + Kolb- Gruppe – mittlerweile auf 850 Mitarbeiter in 49 Ländern angewachsen – auf eine lange Tradition als eines der führenden Unternehmen in der Branche zurückblicken. Wachstumsbedingt wurde eine neue Firmenzentrale notwendig, die die Dynamik und Modernität des Unternehmens nach außen tragen sollte. „Wir genießen am Markt das Image eines schnellen, leistungsstarken und sympathischen Unternehmens, das offen ist für Anforderungen seiner Partner. Intern herrscht offene Kommunikation mit einem hohen Maß an Transparenz“,  beschreibt Gerhard Heilemann, Geschäftsführer von Hahn + Kolb, die Stimmung, die es in ein architektonisches Konzept zu übersetzen galt. Darüber hinaus setzte der Bauherr die bauökologische Messlatte hoch an und erwartete einen in puncto Nachhaltigkeit innovativen Entwurf: „Politik, Wirtschaft und Gesellschaft sind gemeinsam aufgerufen, Verantwortung für die Zukunft zu übernehmen. Wir haben bei der Planung und Realisierung unseres Neubauprojektes den Grundstock dafür gelegt, Raum für eine ganzheitliche Herangehensweise an nachhaltigen Maßnahmen im Unternehmen zu schaffen. Der eingeschlagene Weg des modernen Energiekonzeptes lässt sich bei rein ökonomischer Betrachtung als richtig belegen“, erläutert der Bauherr die hohen Anfor­­derungen.  
Auf einem 4,8 ha großen Areal in der Weststadt von Ludwigsburg bei Stuttgart sollten in der Folge ein Vertriebs- und Technologiezentrum für 280 Büroarbeitsplätze sowie ein Logistikzentrum mit einem hochtechnisierten Shuttleregallager entstehen. Die Stuttgarter Architektin Sigrid Hintersteininger konnte mit ihrem Konzept den Wettbewerb für sich entscheiden. Eine starke formale Geste verhilft ihrem Projekt zur unverkennbaren Corporate Architecture, vermittelt städtebaulich zwischen einer Kleingartensiedlung und Industriestrukturen, beschert spannende Raumsequenzen im Inneren und setzt die geforderte Nachhaltigkeit in Szene: „Grundlage der Gebäudeformen ist das Energiekonzept. Das Haus steigt von Süden nach Norden in einem 45- Grad-Winkel an und mündet in einem kristallinen Glaskörper, der sich nach drei Seiten öffentlich präsentiert. Die nach Süden gerichteten Fassaden sind mit Photovoltaikelementen bestückt. Gleichzeitig dienen die geschlossenen Schrägfassaden im Süden tragwerkstechnisch zur Rückhängung der auskragenden Eingangsfassade im Norden“, erläutert Sigrid Hintersteiniger den Rundumschlag, der ihr mithilfe der schrägen Fassaden gelang.


Die PV-Fassaden sind genau nach Süden ausgerichtet. Bild: David Franck

Differenzierte Raumfolgen
Die Haupterschließung erfolgt über die auskragende Nordfassade des Vertriebszentrums und mündet in ein Foyer, in dem Kunden und Geschäftspartnern die neuesten Produkte präsentiert werden. Im Erdgeschoss und im ersten Obergeschoss sind das Vertriebs- und Technologiezentrum über öffentliche Nutzungen – Restaurant, Lounge und Produktpräsentation – verbunden. Dieses Herz des Unternehmens kann separat von außen über eine großzügige Freitreppe erschlossen werden. Ein Wechselspiel von Ein- und Zweigeschossigkeit baut spannende Raumfolgen auf und verbindet öffentliche Bereiche mit der Verwaltung auf unterschiedlichen Geschossen. Der Innenhof gewährleistet natürliche Belichtung und Belüftung aller Büros und bietet eine Freifläche für das Restaurant im Erdgeschoss. „Zugunsten maximaler Variabilität wurde ein Stützraster mit höchst-möglichen Spannweiten gewählt, sodass die Innenräume flexibel möbliert werden können“, erklärt die Architektin die Umsetzung des Bauherrenwunsches nach Flexibilität. Die Büros sind als „Open-Space-Büros“ angelegt. Vereinzelt sind Individualbüros für Führungskräfte in die offene Bürostruktur integriert.


Die Flachdächer sind als Grünflächen ausgelegt und sorgen so für zusätzliche Klimatisierung.

Hochleistungs-Nachhaltigkeit
Auf der Haben-Seite fällt v. a. die über 1.000 m² große PV-Anlage ins Gewicht, die eine homogene, flächenbündige Glasebene auf den nach Süden ausgerichteten Schrägfassaden bildet und mit einem Energieeintrag von 88 kWp zu Buche schlägt. Die rahmenlosen CIS-Dünnschichtmodule tragen aufgrund ihres günstigen Temperatur- und Schwachlichtverhaltens sowohl zu den Hochtemperaturen, als auch bei diffusem Licht sowie bei bewölktem Himmel zur Stromproduktion bei. Die Flachdächer sind Gründächer und somit Ausgleichsflächen der versiegelten Bodenflächen. Gebäudetemperierung und Wassererwärmung erfolgen großteils durch Geothermie. Zusätzlich werden die Betriebskosten durch die Betonkerntemperierung sowie den Einsatz hochtechnisierter Materialien gering gehalten. Die Wärmepumpe wird zu 80 % mit Umweltenergie versorgt und deckt etwa 70 % des Jahresheizenergiebedarfs. Das Heiz-Kühl-System basiert auf einer Grundlastwärmepumpe. Die Wärme wird über Betonkerntemperierung der Decken und über Unterflurkonvektoren an den Fassaden abgegeben. Im Sommerbetrieb wird über die Betonkerntemperierung gekühlt. Wind-, Sonnenstand- und Temperaturfühler regeln das Raumklima. Insgesamt wird der höchstzulässige Primärenergiebedarf nach ENEV um mehr als 45 % unterschritten, was dem Passivhausstandard entspricht.
2014 gewann das Projekt den Iconic Award in den Kategorien Corporate Architecture und Energy Solutions. Nachdem sämtliche Erwartungen erfüllt werden konnten, resümiert der Bauherr:„Als Herausforderung stellte sich der enge Zeitkorridor dar. Innerhalb von 13 Monaten entstand aus einem ehemaligen Militär-Terrain ein Headquarter. Sogar der Umzug von über 300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie 60.000 Artikeln wurde in diesem Zeitrahmen vollzogen. Mit dem Ergebnis bin ich überaus zufrieden. Wir sind nachhaltig gerüstet!“

Aus den Jury-Bewertungen
„Trotz Ausrichtung nach Norden braucht es offenbar massive Sonnenschutzgläser – grünliches Tageslicht im Innenraum hinter der Vollverglasung müsste nicht sein,“ wundert sich Renate Hammer.

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