Reininghausgründe Graz
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- Kategorie: Objekte 2014
Ein Grazer Architekt möchte Strom und Wärme von Haus zu Haus tragen. Ein ganzer Energie-Verbund sollte entstehen.
Das Geist ist willig doch das Gesetz war schwach: Architekten, Fachplaner, Fördergeber, Stadtverantwortliche - alle wollten das Beste für die Grazer Reininghausgründe. Alle wollen ja immer nur das Beste. Es sollte der erste wahre und wirkliche Energie-Gebäudeverbund in der Praxis werden. Eine Idee, die zu genial für die herrschenden Verhältnisse ist, simpel, watscheneinfach: Wenn sich mehrere Häuser die selbsterzeugte Wärme, den eigenen PV-Strom teilen, kommen sie auf höhere Eigenverbräuche, also eine bessere Ausnutzung der teuer aufs Dach gebrachten Sonnenenergiewandler. Klar, weil wenn die einen kochen, sind die anderen gerade auf Urlaub, während bei Meiers die Waschmaschine läuft ist Müller mit dem Hund spazieren, wenn der Sparmarkt geschlossen hat zapfen die Privaten das Stromnetz an. Es hat nicht sollen sein.
Aber der Reihe nach: Werner Nussmüller ist ein Tüftler. Der Grazer Architekt mag nicht ruhen, ehe ein Problem nicht gelöst ist, eine Verbindung nicht sitzt. Sozialisiert wurde er mit Matador, der Spielzeugbaukasten ist schuld daran, dass viele der zahlreichen Bauten, die Nussmüller mit seinem 10-köpfigen Team realisiert hat, Holzbauten sind. Insoferne ist das Projekt Energy_City_Graz eine Niederlage auf höchstem - hölzernen Niveau.
Punkt 12
Zwölf "Punkthäuser" aus Holz entstanden in Wetzelsdorf, einem Außenbezirk von Graz. Gerade sind sie bezugsfertig, in die ersten zogen Familien schon vor Weihnachten ein. Dazu, etwas vorgelagert, ein Riegel aus Stahlbeton, der Bank, Lebensmittelmarkt, Geschäfte und Betreutes in sich birgt.
Die Holzhäuser, geradlinige, strukturierte und augenbekömmliche Würfel, stehen wie Monolithe in der Landschaft und sind doch fast ganz aus Holz. BSP-Platten hüllen einen Kern aus brandschutznotwendigem Beton, zentrale Innenwände atmen mit ihrer Haut aus Lehm, speichern Feuchte, geben sie wieder ab - und verfeinern das Klima im Passivhaus. Karl Höfler, der als Projektleiter seitens der AAE Intec, das Haus energieplanerisch begleitet hat: "Die Lehmplatten helfen beim Lösen des Problems der oftmals viel zu trockenen Luft in Passivhäusern".
Passivhäuser also. Einige der Holzwürfel sind fünf Stockwerke hoch, ein Novum in der Steiermark. So viel jedenfalls zum Erfolg auf höchstem Niveau, auf höchstem steirischen Holzniveau.
Könnte man unter die Häuser sehen, man staunte nicht schlecht: Wie durstige Tiere rüsseln die Quader in die Tiefe, 12 Meter tiefe Pfähle sind die Zungen, in Duplexsonden rinnt permanent die Soleflüssigkeit. Hier müssen wir den Tüftler zu Wort kommen lassen: "Das ganze Areal war einmal eine Schottergrube. Nun haben wir die notwendigen Stützpfosten als Energiepfähle ausgeformt - damit nutzen wir die Temperatur". Werner Nussmüller kann sich richtig gut erwärmen an dieser wässerigen Lösung. 573 derartige Energiepfähle setzten die Grazer zur Grundierung. Etwa die Hälfte der Häuser ist derart abgestützt worden.
Aktiv vernetzte Passivhäuser
Passivhäuser ohne Lüftung sind wie Schachteln ohne Deckel. Doch es muss nicht in jedem Punkthaus die Frischluftmaschine stehen: Man hat sie hier semizentral jeweils für eine Handvoll Häuser ausgelegt - hier sehen wir den Verbundgedanken. Die Frischluft aus den Wärmetauschern wird mit den 10 Grad aus den Energiepfählen nachgewärmt und geht dann in die drei Wärmepumpen (COP ca. 4,0). Anschließend puffert ein 5.000-Literspeicher diese Wärme bevor sie in den Häusern für Fußbodenheizung und Warmwasser genutzt wird.
Sie decken, zusammen mit der thermischen Solaranlage, den gesamten Heiz- und Warmwasserbedarf der insgesamt 143 Wohneinheiten. Scheint die Sonne so wie berechnet, dann freuen sich Planer und Nutzer über 30.000 kWh p.a. aus sechs Solaranlagen auf den Dächern der Punkthäuser. Sieben Zehntel wärmen das Wasser, der Rest hilft der Heizung.
Die Wärmezentralen, je eine also pro Gebäudereihe, sind auch mit dem großen, als Eingangsportal interpretierbaren, Betonriegel verbunden, der Geschäfte und Büros beherbergt. Spitzenleistungen in Erzeugung und Verbrauch können somit ausgeglichen werden. Der Sommer rinnt statt der Wärme die Kälte von Haus zu Haus: "240 kW Kühlleistung ergeben sich, womit bei 800 Betriebsstunden eine Kühlenergielieferung von 192.000 kWh möglich wird" rechnet Cheftechniker Karl Höfler, AAE Intec, vor.
Altes Gesetz als Stolperstein
Während der Wärme-Kühl-Verbund gelungen ist, scheiterte der vom Fördergeber angestrebte, vom Tüftler-Architekt Nussmüller erdachte, dom Planer AAE Intec errechnete und vom Bauträger Martin Partoll favorisierte Stromverbund kläglich. Nach vielen, oftmals unter Starkstrom stehenden, Sitzungen mit den Elektroversorgungsunternehmen klassischer Prägung stand fest: Sämtliche Photovoltaik-Ströme laufen ins öffentliche Netz und müssen dort teuer wieder zurückgekauft werden. Schnecke wars mit dem Eigenverbrauch im Verbund.
Warum? "Wir haben keine Lösung gefunden, das enge gesetzliche Korsett abzustreifen" berichtet der Tiroler Martin Partoll, der die Häuser, die allesamt schon um 2.800 bis 3.100 Euro pro Quadratmeter verkauft sind, als privater Bauträger errichtet. Will heißen: Es gibt derzeit (noch) keine Ausnahmemöglichkeit vom Elektrizitätswirtschafts- und -organisationsgesetz – ElWOG, das einen Stromtransport über die Grundstücksgrenzen hinweg verbietet. Außer man hat eine - sehr teure - Stromhandelskonzession.
Toto-Zwölfer
Höfler: "Wir werden also den gesamten Strom ins Netz einspeisen und haben um einen geförderten Tarif angesucht. Hier haben wir noch keinen Zuschlag bekommen".
Es wär auch zu schön gewesen: Die rund 600 Quadratmeter PV-Panele auf den Punkthäusern erzeugen mit den 108,5 kWp rechnerische 118.500 kWh Ökostrom - der möglichst vollständig von den Bewohnern und von den Büros verbraucht wird. Jetzt ist es eben nur rechnerisch der Fall - und der Stromkonzern verdient.
Wie auch immer, die Häuser auf den Reininghausgründen erzeugen um gerechnete 26.761 kWh mehr Energie (Wärme und Strom) als hier verbraucht wird. Es entstand ein Plusenergie-Gebäude-Verbund. Und das war der Plan.
Und was auch der Plan war: „Wir fühlen uns hier wirklich sehr wohl. Das gesamte Konzept gefällt uns und es funktioniert auch“ berichtet Nutzerin XXX Eggenberger, 80, die mit ihrem Gatten schon 2013 einziehen konnte. Nachsatz: „Ich finde wir haben einen Toto-Zwölfer gemacht“. Na dann...
Die Energie-Bilanz
Energiebilanz der 12 Punkthäuser. Der Energieüberschuss wird durch den Solarenergieertrag
(thermisch, PV) und durch die Kältelieferung an den vorgelagerten Büro- und Gewerbekomplex erzielt.
Endenergiebedarf Energieträger Endenergie/Jahr
Lüftung Strom-Erdkollektor/WRG 86.400 kWh/a
Wärme Heizung+WW Strom-Wärmepumpe 130.800 kWh/a
Hilfsenergie Heizung+WW Strom-Pumpen usw. 67.500 kWh/a
Hilfsenergie Kältelieferung Strom-Kühlung Spar, Büros 12.500 kWh/a
Beleuchtung Wohnungen Strom-E-Sparlampen usw. 17.067 kWh/a
Summe Endenergiebedarf Strom 314.267 kWh/a
Energieerzeugung Energiequelle Endenergie/Jahr
Strom PV-Anlage 118.500 kWh/a
Kälte Energiepfähle 192.528 kWh/a
Wärme Solarkollektoren 30.000 kWh/a
Summe Energieerzeugung 341.028 kWh/a
Energieüberschuss 26.761 kWh/a
Quelle: AEE INTEC


