Kommentar von Herbert Starmühler
Herausgeber energie:bau Magazin

KOMMENTAR: Warum das derzeit so moderne Arbeiten im Homeoffice eine Falle ist, in die man nicht sehenden Auges tappen sollte.

Die Wonnen der Heimarbeit stoßen manchmal an die Wände der kleinen Wohnungen. Foto: pixabay

Nach dem ersten Schock im März erholen sich die reichen Länder gerade gut von den Blessuren, die sie in der Corona-Krise erlitten haben. Viele Unternehmen und deren Mitarbeiter*innen konnten die Umsatzdelle bereits ausbügeln, andere ändern ihre Strategien oder die Produktpalette, um wieder Oberwasser zu bekommen. Besonders beliebt ist derzeit bei den Unternehmern und vielen Angestellten die Idee, auch in Zukunft das Home-Office zu nutzen. Frauen und Männer arbeiten zuhause und von zuhause aus, sind über Datenleitungen mit der Zentrale verbunden und können Meetings im Video-Call bewältigen.

Das klingt gut. Und ist es auch: Lästige Fahrten ins Büro fallen weg, womit nicht nur den Fahrer*innen sondern auch der Umwelt gedient ist und die Arbeit kann ungestörter von lästigen Ablenkungen im Büro vonstatten gehen.

Wenn es denn so ist. Die Realität sieht vielfach anders aus und darüber sollte geredet werden. Wenn es nämlich Schule macht, wie es Siemens, SAP und viele andere große, aber auch kleine Unternehmen ankündigen, dass nämlich die Heimarbeit bis auf unbestimmte Zeit verlängert wird, denn stellen sich einige Fragen – die derzeit kaum öffentlich diskutiert werden.

1. Wer zahlt die Chose?
Für die Konzerne ist die Aussicht verlockend, ihre Bürotürme verkaufen oder vermieten zu können, weil sie nur mehr einen Teil davon brauchen. Sie stellen ihrem Personal nur noch austauschbare Schreibtischarbeitsplätze zur Verfügung, das Personal trifft sich nur mehr sporadisch oder nur an wenigen Tagen pro Monat oder pro Woche. Wer aber kriegt diese Ersparnis? Die Aktionäre oder die Angestellten?

2. Was tun gegen die Ungerechtigkeit?
Das Home-Office ist für Singles, kinderlose Paare und Menschen mit hohen Einkommen ein willkommene Abwechslung. Bequem lehnt man sich im Bürostuhl im eigenen Arbeitszimmer zurück und lässt die Video-Partner generös ein paar Blicke auf teure Bilder oder gediegene Bibliotheken erhaschen. Bei der alleinerziehenden Mutter (oder  ebensolchem Vater) mit kleiner Wohnung sieht die Sache anders aus: Irgendwie kommt die Tochter immer genau dann ins Arbeits-Wohn-Esszimmer zurück, wenn man gerade im Videomeeting am Wort ist. Peinlich.

3. Wie steht es mit der Gleichberechtigung der Frauen?
Da waren wir schon mal weiter. Das Arbeiten zuhause belastet in erster Linie wieder die Frauen. Denn der Göttergatte hat in der Regel den arbeitsplatztechnischen Vorteil daheim, schließlich ist er für den größeren Teil des Haushaltsgeldes verantwortlich ...

4. Wer finanziert neue Wohnformen?
Schon sprechen Architekten*innen von änderungsfähigen Grundrissen im Wohnbau, wandelbaren Raumstrukturen und Co-Working-Places im Wohnhaus, um für das Arbeiten Rückzugsmöglichkeiten zu haben. Damit würden aber aus kleinen Zimmern noch kleinere. Oder aber zusätzlicher Raum kommt dazu: Man gönnt sich doch etwas größere Wohnungen. Oder nutzt die noch zu schaffenden Gemeinschaftsarbeitsplätze auf Zeit. Doch wer finanziert das?

5. Wollen wir uns dauernd digital überwachen?
Die angeblich vergleichbare (oder sogar höhere) Produktivität einer heimarbeitenden Belegschaft ist noch nicht ausreichend untersucht. Um die Arbeitsleistung zu checken werden bereits mehr oder weniger raffinierte Tools verwendet, die die Stechuhr und den Überblick des Vorgesetzten ersetzen (müssen). Wer wie lange und wie schnell und wie zuverlässig welche Tasten am heimischen Laptop drückt, wird aufgezeichnet und gibt der Zentrale Aufschluss über das Plansoll, das zu erfüllen ist. Oder ob der Kollege, die Kollegin doch etwas zu sehr den privaten Instagram-Account während der Arbeitszeit pflegt.

Fragen über Fragen tun sich auf – und sollten wenigstens diskutiert werden. Doch weder von SPD, SPÖ, den Grünen, den Gewerkschaften oder der Arbeiterkammer hört man dazu den längst fälligen Aufschrei. Seltsam.

Herbert Starmühler

Dr. Herbert Starmühler

Herausgeber energie:bau Magazin

ist Herausgeber dieser Publikation energie-bau.at und verschiedener Fachmagazine im Bereich Technik, Architektur und Energieeffizienz. Als seit Jahren leidenschaftlicher E-Auto-Fahrer und Bezieher eigenen Sonnenstroms ist der Journalist jederzeit für innovative Ideen zu begeistern und holt sich beim Networken gerne Inspiration für neue Projekte.