Kommentar von Herbert Starmühler
Herausgeber energie:bau Magazin

KOMMENTAR: Es bleibt alles anders, so viel ist gewiss. Aber was ändert sich im Bau-, Wohn- und Arbeitsgeschehen? Hier 10 logisch begründbare Ausblicke, die sicher so nicht eintreten. Oder vielleicht doch.

Wann können wir endlich wieder feiern? Derzeit sind die Jungen eher auf verdrießlicher Jobsuche. Foto: Ayrton Club Beehive Shanghai

1. Die Gesellschaft wird noch ungerechter
Einerseits sind einige auf die Butterseite gefallen: Staatsbeamte, die praktisch nicht hinausgeworfen werden, Bedienstete in Firmen, die trotz Kurzarbeit und Abbau fast volle Gehälter zahlen können, Mütter mit Kindern, die sich zurecht als Looser im Homeoffice vorkommen. Und Bildungschancen sind noch ungleicher verteilt.

2. Die Jugend zahlt die Zeche:
auch mit guten Ausbildungen schaut es in den kommenden Jahren eher duster aus. Stellen werden abgebaut, wo sie bisher sicher erschienen. Neuaufnahmen stocken, Junge werden reihenweise als erste gekündigt – und die Staatskassen sind auf Jahrzehnte belastet.  Die Füllhörner schweigen in den kommenden Zeiten. Die Jugend wird unsere Kredite zurückzahlen müssen. Was deren Chancen auf Wohlstand dauerhaft verringert.

3. Zustelldienste boomen, die Küche braucht weiterhin den Herd
In Japan begann vor einigen Jahren der Trend zur herdlosen Küche. Gegessen wird außer Haus, „gekocht“ wird in der Mikrowelle. That's all. Die Küche als solche hat ihre beste Zeit hinter sich? Doch nein: Corona ist Cooking ist Cocooning ist Brotbacken und also neue Häuslichkeit. Die Architekt*innen müssen sich anpassen und ihre Planungen darauf abzielen. Daneben boomen weiterhin die Zustelldienste, die Delivery Heros, die edlen Ritter der Pandemie – sie bringen Pizzas, sie bringen das Überleben…

4. Cocooning 2.0 ist das digitale Biedermeier
Rückzug ins sichere Heim – ein Desaster für jene mit kleinen Wohnungen und vielen Kindern, aber einlullende Sicherheitszone für die Glücklichen mit Haus und Hof. Gebäude müssen neu gedacht werden. Das Arbeits-Küchen-Wohnzimmer als eierlegende Wollmilchsau. Und das Tiny-House?

5. Der Arbeitsplatz im Homeoffice als Wirtschaftsmotor
Jede Veränderung bringt der Wirtschaft neue Impulse: Kabelanschlüsse, Videotools, Überwachungs-Software, digitale Shops – alles muss neu konzipiert, programmiert, getestet, beworben, verworfen, verkauft werden. Das sind die Jobs von heute und morgen.

6. Die Gebäude werden gemeinschaftlich genutzt
Wer es sich leisten kann, wohnt in einem Haus, in dem sich die 10 oder 100 Mieter/Eigentümer teilen, was sie sich allein nicht leisten würden: Großküche, Partyraum, Werkstatt, Radgarage, Blumenbeete, Waschraum 2.0, Haustechniker, IT-Techniker, Workplaces, Drucker, Scanner, Lastenrad, E-Auto, Kinosaal, Atelier, Hausfreund*in.

7. Das Umwelt-Bewusstsein steigt
Nur langsam zwar, aber doch. Die Pandemie hat alle nachdenklich gemacht. Warum nicht in eine PV-Anlage samt unterbrechungsfreirer Stromversorgung investieren?

8. Reisen verliert an Sex-Appeal. Daheim ist es doch am schönsten. Und wer will schon in Hurgada oder Dubrovnik hängenbleiben, weil die Rückreise gerade versperrt ist? Also werden in Ostösterreich oder in Norddeutschland die (noch überlebensfähigen) Wirtinnen und Wirte zu Hammer und Kredit greifen: Jetzt müssen noch größere Hotels die Kundschaft anlocken. Brandenburg ist das neue Barcelona. Da musst du schon eine ordentliche Wellness-Oase hinknallen.

9. Die Datenleitung ist Gold. Nun zeigt sich, dass der Kabelanschluss oder das W-Lan oder der Hotspot oder was auch immer notwendig ist für den digitalen Austausch – wird DAS wichtige Kommunikationstool.

10. Die Sprache ändert sich. Das Schmähführen oder Leuteausrichten am Gang und am Wirtshaustisch nehmen ab, der neue Videocall-Sprech gewinnt an Bedeutung. Sachlichkeit, Humorarmut, Korrektheit stehen vor Witz, Esprit und schnellen Reflexen. Die Technik versagt uns das derzeit einfach. Das ist ja nun der bestürzendste Prognose, von der wir aber inständig hoffen, dass sie eine Fehleinschätzung bleiben wird.

Herbert Starmühler
herbert@starmuehler.at

 

Herbert Starmühler

Dr. Herbert Starmühler

Herausgeber energie:bau Magazin

ist Herausgeber dieser Publikation energie-bau.at und verschiedener Fachmagazine im Bereich Technik, Architektur und Energieeffizienz. Als seit Jahren leidenschaftlicher E-Auto-Fahrer und Bezieher eigenen Sonnenstroms ist der Journalist jederzeit für innovative Ideen zu begeistern und holt sich beim Networken gerne Inspiration für neue Projekte.