Kommentar von Herbert Starmühler
Herausgeber energie:bau Magazin

KOMMENTAR: Vor einem Monat haben wir alle nur von China geredet, wenn es um Corona ging. So schnell kann es gehen und alles verändert sich. Es sollte uns eine Lehre sein.

Geisterstraße
Nachmittags unter der Woche: Die Wiener Kärntnerstraße im Quarantände-Modus. Foto: Starmuehler_autark Ausnah

Wer für ein paar Wochen auf Reisen geht, findet bei seiner Rückkehr einen Stapel ungelesener Zeitungen vor. Ein derart veraltetes Exemplar zur Hand nehmend, erfuhr Ihr Berichterstatter von dem Coronavirus, das in China enorme Aufmerksamkeit erregt hatte. Doch nur ein einziger größerer Artikel beleuchtete die Sachlage in Wuhan, Hubei und Umgebung. Und der nur bezogen auf die wirtschaftlichen Auswirkungen IN China. Und ein bisschen darüber, ob denn die chinesischen Produktions-Verlangsamungen infolge der Virus-Erkrankungen Auswirkungen auf internationale Lieferketten haben würde. Kein Wort über die gesundheitlichen Auswirkungen, die eine Ausbreitung des COVID 19-Virus auf und in Europa oder in anderen Teilen der Welt haben könnte. Es war ein Exemplar der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 20. Februar 2020.

Was lehrt uns das? Immerhin ist ja die FAZ eine der wenigen Tageszeitungen, die sich noch ein internationales Korrespondentennetz leisten kann und auch sonst gut informiert ist?

1. Es kommt schneller als man glaubt
Nun wissen wir, dass innerhalb von Tagen, jedenfalls innerhalb weniger Wochen, alles anders sein kann: Eine Pandemie kann ausbrechen, Tod und Trauer bringen, unser Leben, unser Kaufverhalten, die Bewegungsfreiheit ja sogar das Atmen, Grüßen und Küssen verändern.

2. Es gibt keine Sicherheit
Ob Diktatur oder Demokratie – kein Staat kann dich vor einer derartigen Katastrophe bewahren. Unsere Just-in-time-Welt ist zusammengebrochen. Ist zum Stillstand verurteilt worden. Ganz schnell und total. Eine vollumfängliche „Sicherheit“ gibt es nicht, das ist jedem und jeder klar. Und doch strebt der Mensch danach, will Wärme, Geborgenheit, Schutz. Jetzt wissen wir, wie sicher das Unsichere ist. Nun wissen wir auch: Den Landeshygienikern ist genauso mit Vorsicht zu begegnen wie den Medien, die vorgeben, das Ohr täglich auf die Gleise zu legen.

3. Es trifft alle
Das ist neu: Vom Hilfsarbeiter bis zum Milliardär – alle müssen zuhause bleiben. Ein todbringendes Virus ist sozusagen gerechter als jeder Krieg. Es verstreut seine krankmachende Kraft unterschiedslos, lässt niemanden aus, wie viel Geld der oder die auch hat.

4. Es ist doch ungerecht
Und doch schadet die Krankheit den Armen mehr als den Reichen. Wer die Quarantäne mit drei Kindern auf 60 Quadratmetern verbringen muss, ist zehnmal mehr belasteter als jemand, der auf der privaten Latifundie Spaziergänge unternehmen kann. Und alternativ angebotenen E-Learnings kann das Mädchen in der türkischen Familie, die weder Internetanschluss noch Computer ihr eigen nennt, schlecht konsumieren. Die Bildungsschere geht weiter auf.

5. Es ist lehrreich
Alle sind betroffen, alle müssen ihre Schlüsse aus dem viralen Desaster ziehen. Das wird das Überprüfen von Lieferketten sein, die kritische Einschätzung der Abhängigkeiten von zu wenigen Lieferanten, das Vorrathalten im privaten und öffentlichen Bereich und das Einfordern der Möglichkeit, Reserven zu bilden. Allerdings auch die Selbstverantwortung: Wer als Ein-Personen-Unternehmen gar keine Ersparnisse zurücklegt, ist in der Krise besonders anfällig.

Hoffen wir, dass wir daraus lernen. Man muss ja nun nicht gleich die Globalisierung abschaffen wollen. Aber was ist schlecht daran, nun die Vorteile von Dezentralität zu nutzen?

(hst)

Herbert Starmühler

Dr. Herbert Starmühler

Herausgeber energie:bau Magazin

ist Herausgeber dieser Publikation energie-bau.at und verschiedener Fachmagazine im Bereich Technik, Architektur und Energieeffizienz. Als seit Jahren leidenschaftlicher E-Auto-Fahrer und Bezieher eigenen Sonnenstroms ist der Journalist jederzeit für innovative Ideen zu begeistern und holt sich beim Networken gerne Inspiration für neue Projekte.