Ein Gebäude mit Wasserstoff heizen? Geht das – und ist es sinnvoll? In Esslingen wird ein ganzes Quartier derzeit so ausgerüstet.

Serie: Wasserstoff im Wohnquartier

Was nützt uns der Wasserstoff im Wohnbau? Ein neuer Stadtteil in Esslingen probiert es.


Die Neue Weststadt Esslingen nutzt die Abwärme aus der hauseigenen Wasserstoffproduktion. Rendering: rvi_lokwest_citadis

Wasser ist ein ganz besonderer Stoff, und Wasserstoff erst recht. Er ficht die Menschen zu heißen Diskussionen an und spaltet sie in glühende Verehrer und prononcierte Verächter. Zu sehen an diversen Disputen zum und gegen das Wasserstoff-Autos (hier zum Beispiel). Nun ist Wasserstoff keine Primärenergie, sondern streng genommen eine Speicherungsform – alerdings mit ziemlich großen Verlusten.

Wie verhält sich der Stoff aus dem so mancher Traum ist, im Gebäudebereich? Dazu hat man in Deutschland, in Esslingen, einer 90.000-Einwohnerstadt mitten in Baden-Württemberg und angrenzend an Stuttgart, ein ziemlich großes Forschungsprojekt gestartet: Die Neue Weststadt Esslingen.

Power-to-Gas mit Ökostrom
Auf einer Fläche von 100.000 qm entsteht ein urbanes Vorzeigequartier mit mehr als 450 Wohnungen, mit Büro- und Gewerbeflächen sowie einem Neubau der Hochschule Esslingen. Im Rahmen des Forschungsvorhabens „Neue Weststadt – Klimaquartier” soll dabei ein zukunftsfähiges Energiekonzept auf Quartiersebene umgesetzt werden. Mit Power-to-Gas (P2G) als Schlüsseltechnologie wird überschüssiger Ökostrom in „grünen“ Wasserstoff umgewandelt und für die Gasnetzeinspeisung, die Nutzung in der Mobilität und der Industrie aufbereitet.

Weststadt Linda Weidener Projektträger Jülich

Der Weg des Wasserstoffes: Nach der Erzeugung wird er an die Industrie verkauft, ins Erdgasnetz eingespeist, oder rückverstromt, wenn mal PV-Strom fehlt. Und die Abwärme wird zum Heizen im Wohnhaus verwendet.

Sechzig Einreichungen
Aus mehr als sechzig MitbewerberInnen wurde die „Neue Weststadt“ als eines von sechs Leuchtturmprojekten in Deutschland ausgewählt. Durch eine gemeinsame Förderung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) und des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) stehen Zuwendungen in Höhe von rund 13,2 Mio. € zur Verfügung. Der Startschuss für das Projekt fiel im November 2017 – die Stadt Esslingen erarbeitet nun mit zwölf PartnerInnen fünf Jahre lang vor Ort die Grundlagen für eine zukunftsfähige Energieversorgung eines klimaneutralen Stadtquartiers. Bis 2022 entsteht hier das neue urbane Quartier „Neue Weststadt“.

Das Herzstück dieser Zentrale ist ein Elektrolyseur, der überschüssigen erneuerbaren Strom in Wasserstoff (H2) umwandelt und die Energie auf diese Weise speicherfähig macht.

Strom wird in Wasserstoff zwischengespeichert
Kernstück des technologisch innovativen Stadtquartiers ist das energetische Versorgungskonzept, das eine Kopplung der Sektoren Strom, Wärme, Kälte und Mobilität vorsieht. Dafür soll in der Quartiersmitte eine zentrale Versorgungsinfrastruktur mit einer Energiezentrale errichtet werden. Das Herzstück dieser Zentrale ist ein Elektrolyseur, der überschüssigen erneuerbaren Strom (lokaler und überregionaler Erzeugung) in Wasserstoff (H2) umwandelt und die Energie auf diese Weise speicherfähig macht.

H2-Nutzung für Mobilität und Industrie
Der erzeugte regenerative Wasserstoff wird dann im Bereich Mobilität und Industrie genutzt und kann zusätzlich in das bestehende Erdgasnetz eingespeist werden. Hierzu ist die Errichtung einer H2-Abfüllstation, einer H2-Tankstelle und einer Gasnetzeinspeise-Station im Quartier geplant. Wobei die Wasserstoff-Tankstelle mangels Abnehmer (=Fahrzeuge) vorläufig um einige Jahre nach hinten geschoben worden ist.

Weststadt Esslingen H2 Nutzungswege
Die Wege des Wasserstoffes: Vom unterirdischen 1-MW-Elektrolyseur in der Technikzentrale geht es ins Nahwärmenetz, zur Gasübergabestelle für das öffentliche Erdgasnetz, zum LKW-Trailer-Verladeplatz und (später einmal) zur H2-Tankstelle. Screen/Foto: SIZ-EGS

Wird später wieder Strom im Stadtquartier benötigt, lässt sich Wasserstoff in Blockheizkraftwerken rückverstromen. Dieser netzstabilisierende Betrieb von Elektrolyseuren gilt als wichtiger Baustein im Kontext der Transformation des bundesdeutschen Energiesystems hin zu einer hin zu einer rein erneuerbaren Energieversorgung. Zumindest sieht das das Betreiberkonsortium so.

Die Projektpartner:
Die Stadt Esslingen erarbeitet als Hauptantragsteller mit insgesamt zwölf PartnerInnen vor Ort, die wissenschaftliche und  organisatorische Gesamtkoordination übernimmt in dem Verbundvorhaben das Steinbeis Innovationszentrum EGS (SIZ-EGS) aus Stuttgart. Weitere Partner: Technische Universität Braunschweig, Verkehrsbetrieb Esslingen, Energieversorger Polarstern u.a..

Im August 2018 haben sich die Partner Windgas Esslingen GmbH & Co. KG (WGEs) und die Greenpeace Energy eG (GPE) aus dem Verbundprojekt zurückgezogen. Im Rahmen des Projektes sollte WGEs die Projektierung, den Bau und den Betrieb des Elektrolyseurs übernehmen. GPE sollte ein Konzept für den Betrieb des Elektrolyseurs entwickeln. Die im März 2019 neu gegründete Green Hydrogen Esslingen GmbH (GHE) führt als neu gewonnener Partner diese Arbeiten vollumfänglich fort.

Weitere Artikel dazu folgen hier am 20. und 27.5.2020.

Autor: Herbert Starmühler, www.energie-bau.at

---


 

Leserbriefe, Anmerkungen, Kommentare bitte an redaktion(at)energie-bau.at

ebau newsletter