ANALYSE – Warum die Produktion von Wasserstoff in Nordafrika für die europäische Nutzung unsinnig wäre.

Photovoltaik-Kraftwerk in Zagtouli (Burkina Faso, Afrika): Der Strom wird dringend im eigenen Land gebraucht. Foto: Herbert Starmühler

Die Energiediskussion in Deutschland, Österreich, eigentlich in halb Europa, spitzt sich derzeit auf die Frage zu: Wie könnten Gasheizungen und Verbrennungmotoren für Fahrzeuge mit erneuerbarer Energie betrieben werden. Genauer gefragt: Sind e-Fuels und Wasserstoff in ausreichender Menge mit Ökostrom herstellbar, der in Europa erzeugt wird? 

Denn um den von der EU wegen der Klimakatastrophe beschlossenen Ausstiegspfad aus fossilen Brennstoffen zu beschreiten, müssen Haushalte und Gewerbe aus den schädlichen Gasheizungen und aus Diesel- und Benzinautos aussteigen. Das ist schon in den kommenden Jahren – nicht Jahrzehnten – zu machen. Also ersetzt Europa gerade Öl- und Gaskessel durch Pelletsöfen und Wärmepumpen und Verbrenner-Autos durch Elektro-Vehikel. Nur wollen das die Hersteller der Gaskessel und der Verbrennungsmotoren nicht hinnehmen. Sie möchten diese Maschinen gerne weiterhin verwenden.

Zu wenig Grünstrom für e-Fuels und Wasserstoff

Das könnte mit den künstlich hergestellten sogenannten e-Fuels wie e-Methanol oder schließlich mit Wasserstoff gelingen. Doch für die Herstellung dieser Stoffe braucht es elektrische Energie. Viel elektrische Energie. Und die muss „grün“ sein, also aus Wind, Wasser, Abfällen oder Sonnenenergie stammen. 

eFuels Herstellung 1 Öko Institut 2020

Die Herstellung diverser e-Fuels beginnt bei der Aufspaltung von Wasser in H2 und Sauerstoff mittels Elektrolyse Daraus folgen weitere Erzwugungsschritte. Quelle: Ökoinstitut 2020

Womit wir bei der Eingangsfrage sind: Gibt es dafür genug in Europa? Die Antwort heißt nein. Das ist unstrittig. Gashändler, Kesselbauer und Motorenhersteller sind sich mit der Politik einig. Aber woher dann nehmen? Die Antwort: Aus Afrika (aber auch z.B. aus Südamerika). Dort könnte man Strom in der Wüste erzeugen, daraus z.B. Wasserstoff (H2) erzeugen und mittels Kühl-Schiffen nach, sagen wir, Rotterdam, führen, dort den H2 wieder verflüssigen und schließlich zum Endverbraucher transportieren, in Pipelines oder mit LKW.

Aus Desertec wird nun „H2-Tec“

Die Idee gab es schon mal. Sie hieß Desertec – und sie ist grandios gescheitert. Damals, so ab 2009, konnten Konzerne die Politik für den Plan gewinnen, in Marokko, Algerien, Libyen und anderen nordafrikanischen Staaten Grünstrom zu produzieren und selbigen mittels riesigen Strom-Autobahnen bis nach Bayern oder Buxtehude zu transportieren. Viele Unternehmen haben das Desertec-Konsortium mittlerweile wieder verlassen.

Wir haben ein Interview gefunden, das das deutsche Manager Magazin 2009 mit einem prominenten SPD-Politiker über Desertec geführt hat. Der Politiker war ein Leuchtturm der Energiewende-Verfechter (und ist früh verstorben). Wir zitieren einige Passagen und haben uns erlaubt, aus „Desertec“ „H2-Tec“ zu machen. H2-Tec gibt es nicht, es steht aber zu erwarten, dass die Konzerne genau so etwas durchsetzen werden. 

Hier das fiktive Interview:

Was halten Sie von der H2-Tec-Initiative, bei der Großkonzerne Solarstrom in den Wüsten Afrikas produzieren und Wasserstoff nach Europa bringen wollen?

Die Unternehmen laufen einer Fata Morgana hinterher. Solch einen Plan können sich nur Theoretiker einfallen lassen, die von den praktischen Hindernissen eines solchen Projektes wenig Ahnung haben.

Sie wenden sich generell gegen derartige Großprojekte?

Nein, es läuft in Deutschland ja bereits ein sehr erfolgreiches Großprojekt, nämlich die Umstellung der Energiewirtschaft Deutschlands auf erneuerbare Energien. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz hat dafür die Grundlage geschaffen und der Fortschritt kann sich - trotz erheblicher Planungswiderstände gerade der etablierten Energiekonzerne - sehen lassen. In neun Jahren haben wir den Anteil erneuerbarer Energien an der Stromversorgung von 4 auf 19 Prozent erhöht!

Das spricht nicht gegen H2-Tec.

Doch, weil der Plan so umfangreich und kostenintensiv ist, dass er nur aufgehen kann, wenn man den Ausbau der Erneuerbaren Energien bei uns willkürlich stoppt.

Die H2-Tec-Partner sprechen von zehn Milliarden Euro jährlich. Das erscheint vergleichsweise moderat.

Die Investitionskosten bei H2-Tec sind absurd, selbst wenn wir unterstellen, dass die Kalkulation stimmt, die sie zitieren. Der Aufbau der Anlagen und des Transportnetzes ist ein so gigantisches Unterfangen mit so vielen Beteiligten, dass die Kosten kaum planbar sind. Jeder Transitstaat der Transportleitungen wird taktieren, um für sich das Beste herauszuholen, und es wird Widerstände vor Ort geben. Das kostet Zeit und letztlich Geld, weil sich der Return on investment (ROI) immer wieder verzögern wird. 

Der Lohn der Mühe soll besonders günstig zu produzierender Strom sein - was die Sache später wirtschaftlich machen könnte. Was die H2-Tec-Gelder in Deutschland bewegen könnten

Die Idee ist ein wenig zu schlicht, um zu funktionieren: Weil in der Wüste besonders viel Sonne scheint, so das Bild dieser Fata Morgana, ließe sich der Strom auch besonders kosteneffizient herstellen. Doch die Verluste über die große Strecke nach Europa wären immens, die technische wie politische Zuverlässigkeit kritisch. Hinzu kommt, dass die Kraftwerke unter Extrembedingungen betrieben werden müssen, denken Sie nur an Sandstürme. Die Wartungskosten sind nicht mit denen bekannter Anlagen vergleichbar.

Politik und Unternehmen sollten sich also gar nicht für H2-Tec engagieren?

Das Engagement für erneuerbare Energien ist elementar wichtig - aber es ist billiger, wenn es jeweils im Verbrauchsland vorangetrieben wird.

Hier zu Lande passiert doch schon viel, wie Sie selbst gesagt haben.

Aber es könnte viel mehr sein. Es gibt Bundesländer, die schließen mehr als 99 Prozent der Landesfläche für Windanlagen kategorisch und mit fadenscheinigen Begründungen aus, etwa Bayern, Hessen und Baden-Württemberg. Wir könnten schon viel weiter sein.
Überlegen Sie sich, was man mit den 400 Milliarden Euro, von denen bei H2-Tec die Rede ist, alles bewegen könnte. Ein zusätzlicher Prozentpunkt der erneuerbaren Energien am deutschen Strommix erfordert Investitionen von etwa fünf Milliarden Euro. Und in den kommenden Jahren werden die Preise für die Anlagen weiter sinken.

Wenn das Projekt wirtschaftlich so widersinnig ist, wie Sie behaupten, wie kann es dann sein, dass gleich mehrere spitz kalkulierende Konzerne darauf einsteigen?

Diese Konzerne verfolgen das Ziel, die Strukturen der heutigen Energieversorgung in das Zeitalter der erneuerbaren Energien zu verlängern. H2-Tec bedeutet Strom von einem einzelnen Konsortium, das Produktionsanlagen wie Transportleitungen kontrolliert. Es ist ein Weg, auch Solarstrom unter Monopolbedingungen herzustellen.
Die Stromerzeugung, wie sie durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz gefördert wird, sieht ganz anders aus. Sie ist dezentral und in den Händen vieler kleiner Anbieter. Ihre Strukturen sind mittelständisch. Mittelständische Unternehmen sind innovativer als Großkonzerne, es besteht eine fruchtbare Konkurrenz von vielen flexiblen Firmen, die mit sehr unterschiedlichen Motiven hinter der Sache stehen. So kommt eine starke Dynamik zustande und langfristig bessere Preise als in den Strukturen der alten Monopolisten.

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Wie gesagt: Dieses Interview wurde 2009 über das „Desertec“-Programm geführt. Wir haben „Desertec“ durch das fiktive „H2-Tec“ ersetzt, um die erstaunlichen Parallelen zu zeigen. Der Interview-Partner des deutschen Manager-Magazins war damals Hermann Scheer. Der SPD-Politiker galt als Vordenker der Energiewende, er favorisierte dezentrale Energie-Erzeugung und -Verbrauch. Er ist ein Jahr nach dem Interview, das Matthias Kaufmann geführt hat, verstorben.

Hermann Scheer war Vorsitzender des Weltrats für Erneuerbare Energien und Präsident von Eurosolar. 1999 erhielt er für sein Engagement zur Förderung der Sonnenenergie den Alternativen Nobelpreis.

Hier ist das tatsächlich geführte Interview des Manager Magazins mit Hermann Scheer über Desertec nachzulesen.

(hst)

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