Öfter mal was Neues: IKEA baut in Wien gerade ein Shoppingcenter ohne Parkplätze. Es könnte Vorbild werden.

IKEA
Bäume, Licht und Luft – das neue IKEA-Gebäude am Europaplatz in Wien (c)2019 ZOOMVP_querkraft

Das unmögliche Möbelhaus macht seinem Namen Ehre: Wer hätte gedacht, dass man eine Shopping-Mall ohne Parkplätze bauen kann? Sind doch die sperrigen Möbelteile, die nur ungern in einen, sagen wir Renault Clio passen, Legion – und erheiterndes Zentrum diverser Videos. Man müht sich und irgendwie klappt es dann doch.

Und jetzt? In Wien, neben dem Westbahnhof feierten die Schweden gerade Dachgleiche, wenn auch nur im eingeschränkten Virus-Modus. Ende 2021 sollte man hier schon einkaufen gehen können. Und das geht dann so: Mit der Straßenbahn hinfahren, zu Fuß oder mit dem Fahrrad. Mitnehmen kann man* dann nur Kleinteile – die größeren Küchenteile oder Matratzen kommen dann vom neuen Logistik-Hub im 21. Bezirk. Ob das umwelttechnisch so gescheit ist, müssen eingehendere Berechnungen ergeben, die Beteiligten Architekten von querfeld und die Berater greenpass finden jedenfalls: Ja.

Jedenfalls entstehen inmitten einer dichten gründerzeitlichen Bebauung auf ca. 4.000 m2 Grundfläche ein siebengeschossiges Einrichtungshaus und Hostel mit insgesamt 160 Bäumen, begrünten Fassaden sowie öffentlich zugänglicher und begrünter Dachterrasse.

Die beteiligten querkraft-Architekten Erhartt, Sapp und Dunkl. (c) querkraft-alvarez.jpg

Das IKEA-Gebäude könnte eine neue Landmarke werden.

Das Rendering zeigt die luftige Konstruktion und den wahrscheinlich hohen Kommunikationsfaktor zur Umgebung. Renderings: querkraft

Fußgänger, Flanierer, Lufthungrige
Das ganze Gebäude will in seinen Umweltwirkungen vorbildlich sein – mit dieser Grundidee beeindruckten die Architekten die Schweden. Das vom Wiener Architekturbüro querkraft architekten entworfene Gebäude ist voll und ganz auf Fußgänger, Radfahrer und Benutzer von öffentlichen Verkehrsmitteln ausgelegt. 
"Wir sind einen weiten Weg gegangen von `blauen Boxen` auf der grünen Wiese hin zu einem Innenstadt-Einrichtungshaus, das seinesgleichen sucht. Wir wagen dieses Experiment, weil sich unser Leben, das Kundenverhalten und auch die Mobilitätsgewohnheiten rasant ändern. Um dem zu begegnen, braucht es neue Wege," so Maimuna Mosser, Business Development Managerin von IKEA Austria.

 „Wir sind einen weiten Weg gegangen von `blauen Boxen` auf der grünen Wiese hin zu einem Innenstadt-Einrichtungshaus“.
Maimuna Mosser, IKEA Austria

Überdimensionale Pflanztöpfe
Die vielen Bäume und Sträucher an allen Fassaden prägen das Bild des Möbelhauses markant. Dabei wachsen sie aus überdimensionalen Pflanztöpfen und werden sensorgesteuert mit Wasser und Nährstoffen versorgt. Die intensive Begrünung des Gebäudes wurde von Kräftner Landschaftsarchitektur mit Unterstützung der Begrünungsexperten von Green4Cities entwickelt. Mit Hilfe von GREENPASS konnten die grünen Infrastrukturen in der Entwurfs- und Detailplanung optimal eingesetzt werden. Das Ziel: eine hohe Wirkungsleistung und thermischen Komfort für die zukünftigen Nutzer*innen und die Nachbarschaft sicherzustellen und dies mit dem 1. internationalen Zertifizierungsstandard für Klimaresilienz auch offiziell zu bestätigen.

BREEAM Excellent u.a.
Insgesamt wurden 6 urbane Themenfelder mit Fokus auf den Freiraum analysiert, optimiert und bewertet: Klima, Wasser, Luft, Biodiversität, Energie und auch Kosten. Mit einer Gesamtpunkteanzahl von 328 Punkten und damit einem Gesamterfüllungsgrad von 91 % erhält das hochqualitative Projekt das weltweit erste GREENPASS PLATINUM Zertifikat. Der wissenschaftlich entwickelte Qualitätsnachweis von GREENPASS wurde in weiterer Folge auch beim BREEAM Bewertungssystem für relevante Indikatoren (Mikroklima und Biodiversität) adäquat angerechnet bzw. gutgeschrieben, wo das Projekt Excellent erreicht.

Bessere Werte als davor
Begleitend gibt es verständlicherweise auch die eine oder andere kritische Stimme zu dem Neubau – viele hatten sich an das bestehende Gebäude gewöhnt und fragten, was denn nun besser werden würde. Also verglich man die Werte: Das Neubauprojekt wurde mit dem früheren Gebäudebestand verglichen. Den Bewertungsrahmen für eine GREENPASS Zertifizierung bilden dabei standardisierte und unterschiedlich begrünte Referenzszenarien, von total versiegelt bis zu voll durchgrünt (Worst Case – Moderate Case – Best Case).

1,5 Grad Abkühlung simuliert – besser als zuvor
Das neue Möbelhaus schneidet dabei in allen 5 Key Performance Scores besser ab als der frühere Gebäudebestand: Thermischer Abluftstrom, Thermischer Komfort, Thermische Speicherfähigkeit, Abflussbeiwert und CO2 Speicherung. Die Ergebnisse der GREENPASS Certification zeigen, basierend auf den Expertensimulationen mittels ENVI-met, dass das Projekt die Lufttemperatur vor Ort an einem typischen Hitzetag um bis zu 1.5 °C abkühlt. Zumindest ergeben das die Berechnungen – man wird dann vor Ort vielleicht noch einmal nachmessen müssen...

12 Grad Kühler auf der Dachterrasse
Und die künftigen Besucher*innen des Gebäudes? Die gefühlte Temperatur (PET) auf der Dachterrasse wird an einem Hitzetag um mehr als 12 °C kühler wahrgenommen, sagen zumindest die Errichter in einer aktuellen Aussendung. Dies soll die Bepfanzung ermöglichen: „Die Analyse und Bewertung zeigen, dass die eingesetzte Vegetation inkl. Substratkörper mit mehr als 6 kg CO2 pro Hitzetag dabei dreimal mehr CO2 speichert als der Bestand zuvor. Die thermische Speicherfähigkeit, ein Maß für die Überhitzung eines Stadtteils, wird ebenso verbessert wie die erforderlichen Kühlgradstunden und der durchschnittliche Abflussbeiwert (von 0.9 auf 0.79). Durch das Projekt werden ca. 2.700 m2 Grünfläche und 160 Bäume neu gewonnen, die sich zusammen auf eine Blattfläche von über 2 ha summieren werden.“

Fernwärme mit Erdgas
Die Wärme im Winter kommt von der Stadt Wien – via Fernwärmenetz. Die ist allerding noch zu mehr als 50 % aus fossilem Erdgas gemacht, aber die Stadtplanung verspricht Besserung. 40 Prozent Gas sind derzeit die Zielmarke. 15 (von 20) Bonuspunkte sammelt das Projekt dafür in den qualitativ bewerteten Bonusfeldern Biodiversität, Ressourcen und Soziales. Dabei liegt der Fokus des Projekts vor allem auch auf der Förderung der Biodiversität durch Artenvielfalt in der Pflanzenauswahl, unterschiedlicher Vegetationsstrukturen, artenreicher Krautschicht, Habitatstrukturen, Bienen- und Vogelweiden sowie Nist- und Brutplätzen. 


Der IKEA-Werbefilm zeigt den Baufortschritt der vergangenen Monate. Video: IKEA

Recycling und smarte Bewäserung

Die Verwendung von recyklierten Baustoffen im Landschaftsbau sowie der Einsatz von smarten Beleuchtungs- und Bewässerungssystemen im Bonusfeld Ressourcen ergänzen die Liste. Zuletzt trägt das Projekt mit der Bereitstellung von privatem Freiraum, Gemeinschaftsbereichen sowie der Barrierefreiheit des Außenraums bzw. Gebäudes auch zum Bonusfeld Soziales positiv bei und komplettiert die hochwertigen Projektqualitäten für die zukünftigen Nutzer*innen und Anrainer*innen.

Gute Nachbarschaft & Planung
"Nach erfolgreicher Dachgleiche geht es jetzt bei der Fassade Zug um Zug, bis Ende August ein siebengeschossiges, innovatives, einladendes Einrichtungshaus mit begrünten Fassaden und viel Raum für die Menschen steht," beschreibt IKEA Construction Project Manager Robert Charuza die aktuellen Arbeiten.

Projekthomepage: www.ikea.com/at/de/stores/wien-westbahnhof/

E-Mail: ikea.austria@ikea.com (Stichwort Westbahnhof)

Baufortschritt Instagram: www.instagram.com/ikeaamwestbahnhof/

Projektleitung IKEA – Sandra Sindler-Larsson

Realisierungsverantwortlicher IKEA – Robert Charuza

Architektur: querkraft architekten

Landschaftsarchitektur: Kräftner Landschaftsarchitektur

Vegetationstechnik: Green4Cities

Klimaresilienz & Zertifizierung: GREENPASS

 

 

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